Oktober 2020
Investieren in Geschäftsmodelle: Chance in der Krise
Zentrale Erkenntnisse
- Wie wichtig langlebige individuelle Geschäftsmodelle in Nordamerika sind, ist während der durch die Covid-19-Pandemie ausgelösten Wirtschaftskrise zunehmend deutlicher geworden.
- Die meisten Unternehmen wurden zwar unerwartet auf eine harte Probe gestellt, dennoch hat die Krise auch Chancen zutage gefördert.
- Vor allem die Identifizierung wettbewerbsfähiger Geschäftsmodelle kann das Risiko eines dauerhaften Kapitalverlusts unseres Erachtens verringern. Und darum sollte es langfristig orientierten Anlegern wohl hauptsächlich gehen.
Marktschocks und wirtschaftliche Unsicherheit können mit aller Schärfe die Bedeutung von Geschäftsmodellen vor Augen führen. Das hat sich Anfang des Jahres in Nordamerika gezeigt, als Unternehmen einen fast vollständigen Shutdown der Wirtschaft verkraften mussten. Das gestörte Wirtschaftsumfeld hat deutliche Unterschiede zwischen Unternehmen und ihrer langfristigen Lebensfähigkeit offenbart. Wir sind überzeugt, dass Anleger durch Aufspüren missverstandener, unterbewerteter und unterschätzter Geschäftsmodelle das Potenzial für dauerhafte Kapitalverluste verringern und die Wahrscheinlichkeit langfristiger Gewinne erhöhen können.
Krise und Chance
Die coronabedingte Wirtschaftskrise hat Geschäftsmodelle in einer bislang beispiellosen Weise auf die Probe gestellt. Besonders hart hat es den Dienstleistungssektor getroffen, dessen Unternehmen sich bisher in Rezessionen tendenziell gut behauptet haben. Obwohl die Wirtschaft sich langsam wieder öffnet, verzögert sich die Nachfrage bei normalerweise zyklusunabhängigen Unternehmen oder ist vollständig erloschen: Medizinische Eingriffe wurden verschoben, Besuche von Konzerten und Sportveranstaltungen abgesagt und Reisen erheblich eingeschränkt. Niemand hätte geahnt, dass die Umsätze dieser Unternehmen stark schrumpfen bzw. auf null sinken würden. Die Märkte haben darauf recht unerwartet reagiert, wobei Präzedenzfälle aus der Vergangenheit keine zuverlässigen Hinweise liefern.
Verschuldete Unternehmen (die mehr oder weniger von Fremdmitteln abhängig sind, um ihre Geschäftstätigkeit zu finanzieren) wurden während der pandemiebedingten Marktvolatilität zu Beginn unverhältnismäßig (und recht wahllos) abgestraft. Ultraniedrige Zinsen und die Hilfsmaßnahmen der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) gestatteten zahlreichen Unternehmen mit hoch verschuldeten Bilanzen, sich Fremd- und Eigenkapital zu beschaffen. Da die Märkte mittlerweile zwischen Unternehmen, die ihr Kapital herabgesetzt haben und anderen unterscheiden, haben sich einige erstklassige Unternehmen mit einem gewissen Verschuldungsgrad kräftig erholt. Daher war die Fähigkeit, Unternehmen zu identifizieren, die finanziell in der Lage waren, die Krise zu überstehen und gestärkt daraus hervorzugehen, von entscheidender Bedeutung.
Den beachtlichsten Effekt bescherte möglicherweise die weitreichende Digitalisierung der Wirtschaft. Dieser Trend war bereits vor der Pandemie deutlich sichtbar, hat sich dadurch aber deutlich beschleunigt. Durch die digitale Disruption haben sich die Wettbewerbsvorteile für jene Unternehmen vergrößert, die sich angesichts der Krise nicht nur behaupten, sondern glänzend entwickeln können. Diese Kluft wird an der enormen Performance-Diskrepanz zwischen Growth- und Value-Aktien deutlich, die hauptsächlich auf die Dominanz einiger Technologieriesen zurückzuführen ist. Die größten Gewinner waren zwar einige Technologieunternehmen, aber solide Geschäftsmodelle auf der richtigen Seite der digitalen Disruption gibt es in allen Wirtschaftszweigen. Dabei handelt es sich um Unternehmen in Nischen, die dennoch gestärkt aus der Rezession hervorgehen werde.
Durch die digitale Disruption haben sich die Wettbewerbsvorteile für jene Unternehmen vergrößert, die sich angesichts der Krise nicht nur behaupten, sondern glänzend entwickeln können.
Das Volatilitätsniveau an den Märkten in diesem Jahr bietet Chancen für Anleger, die langfristig in langlebige Geschäftsmodelle investieren können. Wir sehen Anlagechancen bei Aktien, deren Geschäftsmodelle sich weiter gut entwickelt (oder verbessert) haben, deren Kurse aber in der Regel aufgrund ihrer Verschuldung nicht Schritt gehalten haben. Unternehmen, deren Aktivitäten eindeutig in den Sog des plötzlichen wirtschaftlichen Stillstands geraten waren, deren Aktien aber unseres Erachtens übermäßig abgestraft wurden, boten ebenfalls Anlagechancen.
Risiko, definiert als dauerhafter Kapitalverlust
Wir bevorzugen eine absolute Definition von Risiko als dauerhaftem Kapitalverlust, da sich das Ziel eines langfristigen Kapitalzuwachses kaum erreichen lässt, wenn man dauerhaft herabgestuftes Kapital in einer Anlage hält. Ein dauerhafter Kapitalverlust kann entstehen, wenn der endgültige Wert eines Unternehmens gemindert wird, z. B. wenn die Gefahr besteht, dass ein Unternehmen obsolet wird, wie z. B. stationäre Einzelhändler oder stark von fossilen Brennstoffen abhängige Unternehmen. Auch hier hat die weitreichende Digitalisierung viele Geschäftsmodelle kalt erwischt, die möglicherweise bald überholt sein werden.
Das Kapital kann auch herabgesetzt werden, wenn ein Unternehmen gezwungen ist, zusätzliche Aktien auszugeben, um Sorgen über Liquidität oder Verschuldung auszuräumen. Das führt zu einer Verwässerung vorhandener Aktien. Die Pandemie hat einen Boom bei Aktienemissionen ausgelöst. Einige Unternehmen konnten dies allerdings durch die Wahrung starker Bilanzen und stabiler Cashflows vermeiden.
Um dem Risiko eines dauerhaften Kapitalverlusts vorzubeugen, sollten Anleger unserer Meinung nach wissen, was sie halten. Es ist wichtig, langlebige Geschäftsmodelle zu verstehen und in diese zu investieren. Dabei handelt es sich um Unternehmen, die nachhaltig attraktive Renditen erzielen können, um langfristig von dynamischem Wachstum zu profitieren. Daneben sollten Anleger ihr Hauptaugenmerk auf die Bewertung richten und in Unternehmen investieren, die mit einem erheblichen Abschlag auf ihren beizulegenden Zeitwert gehandelt werden, mit dem Ziel, den beizulegenden Zeitwert während der Haltedauer zu erreichen. Im Idealfall erreicht eine Anlage dank ihres Geschäftsmodells beide Ziele: dynamisches Wachstum und Realisierung des Zeitwerts.
Wie wir gesehen haben, stellt die Pandemie die Wirtschaft vor einige beispiellose Herausforderungen, die einige Geschäftsmodelle kalt erwischt und für andere Chancen geschaffen haben. Dieses Jahr hat sich unsere Auffassung bestätigt, dass die Fokussierung auf langlebige Geschäftsmodelle und die Vermeidung eines dauerhaften Kapitalverlusts ein wirksames Instrument bei einem langfristig ausgerichteten Anlageprozess sein kann.
PERSPEKTIVEN FÜR AKTIENANLAGE
Weitere Perspektiven für Aktienanlage
VORHERIGER ARTIKEL
Globale immobilien – rückkehr zur normalität?
Die Porfoliomanager für globale Immobilien Tim Gibson und Greg Kuhl sprechen über etwaige Fehleinschätzungen von Anlegern zum Immobiliensektor nach Covid-19 und erläutern, weshalb er weiter eine attraktive und wichtige Anlageklasse bleibt.
NÄCHSTER ARTIKEL
Zeit für eine Renaissance in Europa?
John Bennett ist Leiter des Teams für europäische Aktien und erläutert den potenziellen Wendepunkt an den Märkten, der europäischen Aktien nach oben verhelfen und bewirken könnte, dass sie sich mit dem langjährigen, scheinbar unschlagbaren US-Bullenmarkt auf Augenhöhe messen können.