Im zweiten Teil unserer Videoreihe über die wissenschaftlichen und anlagebezogenen Auswirkungen von COVID-19 gibt Biotech-Analyst Agustin Mohedas Einblicke in die Art und Weise, wie Biotech- und Pharmaunternehmen auf die Krise reagieren und warum weitere systematische Tests auf das Virus für das Wiederhochfahren und die Erholung der US-Wirtschaft von entscheidender Bedeutung sind.
Zentrale Erkenntnisse:
- Die frühzeitige Umsetzung von Social-Distancing- Maßnahmen hat China und Südkorea geholfen, die COVID-19-Kurve relativ schnell abzuflachen. Der Verlauf der Pandemie in Europa und den USA ist nicht mit Asien vergleichbar, da in beiden Regionen die Bemühungen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus langsamer aufgenommen wurden.
- Die Diagnostikunternehmen haben zwar die Produktion verschiedener Testmethoden hochgefahren. Dies stoßen aber wegen des überlasteten Gesundheitssystems und fehlender persönlicher Schutzausrüstung für die Probenentnahme an ihre Grenzen.
- Obwohl die wirtschaftlichen Folgen der Kontaktbeschränkungen verheerend sind, glauben wir, dass ein zu frühes Wiederhochfahren der Wirtschaft ohne angemessene Testverfahren zu einer weiteren Ausbreitung der Pandemie führen könnte. Die Folge wäre ein längerer Lockdown und gravierendere langfristige wirtschaftliche Schäden.
Michael McNurney: Hallo, ich bin Mike McNurney. Bei mir ist heute Agustin Mohedas in der zweiten Ausgabe unserer Reihe über die COVID-19-Krise. Darin befassen wir uns mit der Krankheit selbst, aber auch mit ihren Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Märkte. Seit wir den letzten Teil über die Krankheit gefilmt haben ist viel passiert. Agustin, ich denke, wir sollten zunächst einen Blick auf die Schlagzeilen werfen. Wie es aussieht, haben wir einen Wendepunkt bei der Krankheit erreicht. Aber ich bin mir nicht sicher, ob das tatsächlich stimmt. In Asien gibt es definitiv Anzeichen für Fortschritte und auch in Europa flacht die Kurve etwas ab. Dort gibt es aber immer noch fast eine Million Fälle und ich glaube, dass rund ein Viertel davon in den letzten sieben Tagen diagnostiziert wurde. In den USA scheinen wir Asien und Europa hinterherzuhinken. Was können wir von Asien lernen und was sagt uns das, über den Verlauf der Krankheit hier in den USA und in Europa?
Agustin Mohedas: Danke Mike für die Einführung. Die COVID-19-Epidemie hat in Asien begonnen, und viele Länder dort, insbesondere China und Südkorea, haben sehr schnell Kontaktbeschränkungen verhängt. Sie haben gleich zu Beginn der Epidemie eine deutliche Abflachung der Kurve erreicht, sodass der Verlauf dort ganz anders ist, als das, was wir in Europa und jetzt auch in den USA beobachten. Deshalb glaube ich nicht, dass wir den Ausbruch in Südkorea oder China wirklich als verlässlichen Hinweis für die bevorstehenden Entwicklungen in den USA nehmen können. Aber wir können sicherlich nach Europa schauen, um zu sehen, wie sich die Dinge hier in den USA entwickeln könnten. In Europa gibt es inzwischen über 700.000 Fälle, und die Zahl der Neuinfektionen nimmt täglich um etwa 3% zu. Die Kontaktbeschränkungen haben die Epidemie also tatsächlich verlangsamt. Dort ist man über den Berg, denn es kommen zwar jeden Tag neue Fälle hinzu, aber es werden auch täglich weniger. Wir [die USA] registrieren derzeit etwa 25.000 neue Fälle pro Tag. Insgesamt gibt es 600.000 Fälle, und täglich kommen noch zwischen 25.000 und 35.000 neue Fälle hinzu. Wir liegen etwa eine Woche hinter Europa. Etwa in der nächsten Woche werden wir vermutlich sehen, dass die Zahl der täglichen Neuinfektionen [in den USA] beginnt, deutlichen abwärts zu tendieren. Hoffentlich bis Ende April und mit Sicherheit bis Ende Mai werden viel weniger neue Fälle pro Tag hinzukommen. Dann können die Kontaktbeschränkungen möglicherweise auf Ebene der Bundesstaaten gelockert werden.
MM: Gut. In diesem Zusammenhang haben wir etwas über Scott Gottlieb [früherer Chef der US-Arzneimittelbehörde FDA] und den Vier-Phasen-Fahrplan des American Enterprise Institute bis zur Erholung gesprochen [in Teil 1 der Serie]. In Phase 1 sind, wenn ich mich richtig erinnere, strenge Kontaktbeschränkungen erforderlich. Daneben muss sich die Kurve gemessen an der Zahl der Infektionen abflachen, wie eben besprochen. Sie haben gesagt, die USA könnten eventuell im Juni in Phase 2 übergehen, vielleicht auch Ende Mai. In Asien ist dies bereits der Fall. Die USA und Teile Europas sprechen bereits über einen Übergang in diese theoretische Phase 2, wenn man die Schlagzeilen liest. Wird die Wirtschaft also zu früh wieder hochgefahren und überspringen wir ein paar Stufen auf dem Weg zur Erholung?
AM: Das sind ein paar interessante Aspekte, Mike. Im Grunde genommen beinhalten also Scott Gottliebs Plan und mehrere andere Exit-Pläne, die es gibt, fast alle einen robusten Test-, Nachverfolgungs- und Isolierungsmechanismus. Der Bundesstaat Kalifornien hat gerade einen Sechspunkteplan vorgelegt. In Punkt eins geht es um Testen, Isolieren sowie Nachverfolgen und Isolieren. Bevor wir also zu Phase 2 übergehen oder die Wirtschaft teilweise wieder anlaufen lassen können, müssen wir über einen robusten Mechanismus verfügen, um weite Teile der Bevölkerung zu testen, aktive Fälle zu identifizieren und diese Personen dann zu isolieren. Genau darin liegt der Unterschied zwischen der bevölkerungsbasierten Intervention, die wir gerade erleben, und bei der alle zu Hause bleiben, und der fallbezogenen Intervention, bei der wir nur die Infizierten und ihre Kontakte isolieren. Das werden vielleicht viele Menschen sein, aber es sind sicherlich viel weniger Menschen, als wir heute isolieren, und die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen sind viel geringer. Aber um an diesen Punkt zu gelangen, müssen sehr viel weniger neue Fälle pro Tag hinzukommen als heute. Ich denke, Ende April, Mitte Mai [in den USA] könnten wir uns diesem Punkt nähern. Und wir brauchen sehr viel mehr Tests als bisher. Im Moment führen wir im Durchschnitt etwa 140.000 Tests pro Tag in allen 50 Staaten durch. Wir müssen uns aber wahrscheinlich 500.000 Tests pro Tag nähern. Jetzt, wo sich die Zahl der Neuinfektionen verlangsamt aber weiter steigt, werden wir über ein viel robusteres Testsystem verfügen, mit dem wir zu diesem nächsten Schritt übergehen können. Ich weiß, dass die Menschen wirklich auf diesen nächsten Schritt warten. Aber es ist wichtig, den richtigen Zeitpunkt abzuwarten und sicherzustellen, dass davor alle Voraussetzung erfüllt sind.
MM: Ich möchte darauf zurückkommen, dass es wichtig ist, den richtigen Zeitpunkt abzuwarten. Abbott Labs gab bekannt, dass sie [in den USA] diese Woche ungefähr eine Million Tests versenden werden und bis Ende April glaube ich insgesamt vier Millionen. Abbott scheint bei den Tests Marktführer zu sein. Aber reicht dies aus und wie gut haben Biotech- und Pharmaunternehmen auf die Krise reagiert?
AM: Die Diagnostikunternehmen haben die Produktion unterschiedlicher Tests und zur Durchführung benötigter Reagenzien massiv hochgefahren. Es gibt viele Diagnosetests. Mit den PCR-Tests lässt sich eine aktive Infektion nachweisen, indem in einer Probe die RNA [die genetische Information in einem Virus] nachgewiesen wird. Daneben gibt es IGG- oder IGN-Tests, mit denen sich das Vorhandensein von Antikörpern gegen das Virus nachweisen lässt. Dadurch lässt sich feststellen, ob Sie in der Vergangenheit schon einmal infiziert waren. Wir müssen also zwischen Tests auf eine aktive Infektion und Tests auf eine frühere Infektion unterscheiden. Die Einführung dieser Tests verläuft also wirklich gut. Die Möglichkeit für Ärzte und Pflegekräfte Proben zu entnehmen, ist aber nach wie vor beschränkt. Die Probenentnahme umfasst einen Nasenabstrich, bei dem es sich um eine aerolisierende Maßnahme handelt. Das bedeutet, dass bei dem Verfahren viel Virus-RNA oder infektiöse Viruspartikel freigesetzt werden. Deshalb müssen Ärzte bzw. Pflegepersonal vollständig vor dem Virus geschützt sein. Dementsprechend müssen sie Persönliche Schutzausrüstung (PSA) tragen und im Moment gibt es im Hinblick auf die PSA und die Anzahl der Anbieter, die die Tests durchführen können, noch Einschränkungen. Wenn also die Zahl der täglichen Neuinfektionen zurückgeht und unser Gesundheitssystem weniger überlastet ist, werden wir in der Lage sein, mehr asymptomatische oder potenziell symptomatische Patienten zu testen. Das Gesundheitssystem würde also entlastet und die Diagnostikfirmen würden mehr Tests bereitstellen. Dann wären wir Ende des Monats hoffentlich an einem Punkt, dass wir systematisch rigoros mehr testen können.
MM: Agustin, Sie haben unter anderem über die möglichen Auswirkungen gesprochen, wenn wir einige dieser Schritte bei der Bewältigung der Krankheit in Europa und den USA überspringen würden. Können Sie uns diese Auswirkungen näher beschreiben, sowohl in medizinischer Sicht, als auch die Auswirkungen auf die Wirtschaft und potenziell auf die Märkte?
AM: Wenn wir die Wirtschaft vorzeitig wieder hochfahren, ohne dass entsprechende Testverfahren vorhanden sind, ohne dass die Zahl der Neuinfektionen so niedrig ist, dass wir positiv getestete Menschen behandeln und isolieren können, dann werden die potenziellen Folgen gravierend sein. Das größte Problem wäre, dass sich die Epidemie möglicherweise deutlich stärker ausbreiten könnte und die Ansteckungsrate oder Infektiosität des Virus steigen würde, wenn die Kontaktbeschränkungen gelockert würden. Dann würden wir die Pandemie in den USA möglicherweise einfach nur neu entfachen, was letztlich nur dazu führen würde, dass wir im Sommer oder vielleicht im Herbst [September-Oktober] eine neue Ausgangssperre verhängen müssten.
Deshalb ist es wirklich wichtig, so hart und wirtschaftlich verheerend es auch ist, die anstrengenden aktuellen Kontaktbeschränkungen fortzusetzen, damit wir, wenn die Wirtschaft wieder anläuft, vorbereitet sind und klug vorgehen. Ich denke also, dass sich die sehr schmerzhaften derzeitigen Beschränkungen später positiv auf die Wirtschaft auswirken werden. Es gibt Daten, die belegen, dass 1918 die Städte, die während der Spanischen Grippepandemie Kontaktbeschränkungen verhängt hatten, später wirtschaftlich besser dastanden als andere Städte. Daher glaube ich, dass es wirtschaftlich verheerend wäre, voreilig zu handeln. Denn das würde nur dazu führen, dass wir in Zukunft und möglicherweise auf längere Sicht an den Kontaktbeschränkungen festhalten müssten, was noch schlimmer wäre. Deshalb halte ich es für wirklich wichtig, dass wir beim Wiederhochfahren der Wirtschaft sehr klug und umsichtig handeln und schrittweise vorgehen, damit wir nicht zu früh zu viele Risiken eingehen.
MM: Agustin, ich beobachte unter anderem, dass viele Anleger hier bei Janus Henderson sowohl den Verlauf der Krankheit weltweit beobachten und gleichzeitig versuchen, die wirtschaftlichen Auswirkungen der Krankheit und die Reaktion auf diese Krankheit zu begreifen. Was halten Sie von der Art und Weise, wie die Anleger hier bei Janus Henderson diese Informationen nutzen, um diese Konzepte und diese Auswirkungen in ihren Portfolios widerzuspiegeln?
AM: Was die Anleger bei Janus Henderson wirklich versuchen, ist nicht nur die kurzfristigen Auswirkungen zu verstehen, denn COVID-19 wird letztendlich vorbeigehen und wir werden es überstehen. Vielmehr geht es darum, die langfristigen Auswirkungen dieser Pandemie zu begreifen und wie sich das auf die Unternehmen in Zukunft auswirken wird? Wissen Sie, wir sprechen täglich darüber und wir fangen gerade an, uns darüber klar zu werden.
MM: Agustin, vielen Dank, dass Sie heute bei uns waren. Ihre Erkenntnisse waren äußerst wertvoll. Wie immer wird Janus Henderson auch weiterhin unser fundamentales Research nutzen, um den Verlauf der Krankheit aber auch ihre finanziellen Auswirkungen zu analysieren. Wenn Sie Fragen haben, wenden Sie sich bitte an Ihren örtlichen Janus Henderson-Vertreter. Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Dieses Video wurde am 16. April 2020 aufgenommen.
- Quellen: Janus Henderson Investors Global Life Sciences Team, Stand: 16. April 2020.