Unsere Reihe „ESG 101“ dient als Grundlage für Gespräche zwischen Finanzexperten und Kunden über ESG-Anlagen (Environmental, Social and Governance – Umwelt, Soziales und Unternehmensführung). In diesem Artikel erläutert der ESG Research and Development Analyst Quinn Massaroni, wie Finanzexperten die Wertvorstellungen und finanziellen Ziele von Kunden beurteilen können, um ihnen geeignete ESG-Lösungen zu präsentieren.
ESG-Faktoren gewinnen weltweit als wichtige Anlageaspekte zunehmend an Bedeutung. In den letzten Jahren ist die Zahl der verfügbaren Fonds mit integrierten ESG-Merkmalen gestiegen.Außerdem hat sich die Zugänglichkeit verbessert, und das Anlegerinteresse wächst zusehends. Zudem sind Finanzexperten in bestimmten Rechtsgebieten weltweit durch gesetzliche und andere Regelungen dazu angehalten, die Kundenpräferenzen in puncto Nachhaltigkeit in ihren Empfehlungen für diese Kunden zu berücksichtigen.
Trotz dieser Entwicklungen kann der Prozess, mit dem Finanzexperten das Interesse ihrer Kunden für das Thema ESG beurteilen, mitunter sehr unterschiedlich sein. Aufbauend auf den Grundlagen, die wir inTeil eins unserer Serie „ESG 101“ Teil eins unserer Serie „ESG 101“ erläutert haben, betrachten wir nun, wie sich Finanzexperten ein Bild von den Wertvorstellungen ihrer Kunden machen könnten, um bei der wachsenden Zahl von ESG-Lösungen genau das richtige Angebot aufzuspüren.
Eine neue Ära der Geldanlage
Die Ereignisse in aller Welt in den letzten beiden Jahren haben den öffentlichen Diskurs verändert, der nun in den Vorstandsetagen und an den Finanzmärkten geführt wird und die veränderten Erwartungen von Verbrauchern und Anlegern widerspiegelt.1 Unternehmen aus zahlreichen Branchen reagieren auf den massiven sozialen und politischen Wandel: von der milliardenschweren Zusage von Bank of America, die Rassen- und Chancengleichheit zu fördern, über den Vorstoß von Netflix, 2% der eigenen Barmittelbestände in Finanzinstitute zu investieren, die schwarze Gemeinschaften direkt unterstützen, bis hin zu aktivistischen Anlegern, die Veränderungen bei großen Energiekonzernen wie Exxon durchsetzen.2
Das geschärfte öffentliche Bewusstsein dafür, wie die Finanzmärkte auf die Gesellschaft und die Welt um uns herum einwirken, hat auch beeinflusst, was Kunden von ihren Finanzdienstleistern erwarten. Das finanzielle Ergebnis wird zwar das Hauptelement des Leistungsversprechens von Finanzexperten bleiben, doch viele Kunden wollen auch wissen, wie gut ihre Anlagen zu den Werten passen, die ihnen wichtig sind, und wie sie ihr Vermächtnis gestalten können. Finanzexperten wiederum bietet sich dadurch die Chance, ihre Kundenbeziehungen zu festigen, indem sie ein besseres Verständnis für die Motive des einzelnen Anlegers entwickeln.
Weit mehr als das typische Kundenprofil
Die Ziele der Kunden durch einen offenen, ständigen Dialog besser zu verstehen, ist für Finanzexperten ein wesentlicher Teil ihrer Arbeit. Im Mittelpunkt dieser Gespräche stand in der Vergangenheit die Erstellung eines Finanzprofils. Dabei ging es etwa darum, sich ein genaues Bild von der Risikotoleranz, den langfristigen Finanzzielen und geplanten größere Ausgaben zum Beispiel für einen Hauskauf oder die Ausbildung der Kinder zu machen.
Diese Themen sind zwar immer noch wichtig, doch um das Interesse eines Kunden für ESG-fokussierte Lösungen besser zu verstehen, können Finanzexperten Strategien zur Profilerstellung berücksichtigen, mit denen sie Werte und Ziele des Kunden abseits der typischen Lebensereignisse zu Tage fördern können. Dieser Ansatz wird häufig Möglichkeiten eröffnen, die Beziehungen zum Kunden zu stärken und Empfehlungen für Anlagelösungen individuell auf den Kunden abzustimmen.3
Ganz wichtig: Diese Gespräche, die dazu dienen, ein Profil des Kunden zu erstellen, kommen auch ohne Fachbegriffe zum Thema ESG und Nachhaltigkeit aus. Stattdessen können Finanzplaner mit offenen Fragen und durch aktives Zuhören einen ganzheitlichen, umfassenden Eindruck von den Zielen und Motivationen ihrer Kunden gewinnen.
Mögliche Fragen sind unter anderem:
- Wie stellen Sie sich Ihr Leben in der Zukunft vor?
- Was sind mit Blick auf die Zukunft abseits Ihrer Finanzlage Ihre größten Anliegen?
- Welche gemeinnützigen oder wohltätigen Interessen haben Sie?
- Was möchten Sie gern hinterlassen?
- Wer sind Ihre Helden?
- Welche Art von Bildung würden Sie am liebsten finanzieren?
- Wohin möchten Sie im Ruhestand am liebsten reisen?
Diese und ähnliche Fragen – oder einfach die Frage: „Welche Wertvorstellungen haben Sie?“ – sind nützlich, um ein Gespräch zu beginnen, mit dem Sie sich ein besseres Bild davon machen, inwieweit sich Ihr Kunde für ESG-Themen interessiert, und zu erkennen, wie ein Kunde abgesehen von den reinen Anlagezielen denkt.
Die richtigen ESG-Lösungen für Kunden finden
Diese Gespräche, bei denen die Wertvorstellungen des Kunden im Mittelpunkt stehen, führen möglicherweise nicht immer dazu, dass sich ein Kunde für eine ESG-Anlage entscheidet. Sie können einem Finanzexperten aber helfen, Lösungen anzubieten, die besser auf den Kunden zugeschnitten sind. Angesichts der Auswahl und Vielfalt an ESG-Optionen, die verfügbar sind und werden, ist es sehr wahrscheinlich, dass sich aus diesen Gespräche Möglichkeiten ergeben, gezielte Empfehlungen auszusprechen, die das Anlegerinteresse für ESG unterstützen können – zumal dieses Interesse zügig wächst. Wie wir in Teil eins dieser Serie erläutert haben, zeigen Analysen, dass Finanzexperten mitunter möglicherweise unterschätzen, wie sehr sich ihre Kunden für das Thema ESG interessieren.4
Was können Finanzexperten also in der Praxis tun, um das Thema ESG anzusprechen und ihren Kunden geeignete Lösungen nach Maß anzubieten? Grundlagenkenntnisse aufzubauen und Anlagelösungen auf Basis der Kundenprofile nach Maß zuzuschneiden, sind aus unserer Sicht zwei gute Ausgangspunkte.
Abgesehen vom generellen Interesse für ESG-Themen dürften sich Privatanleger häufig an ihren Finanzexperten wenden, damit dieser ihnen hilft, sich mit diesen neuen Anlagetrends zurechtzufinden und die Lösungen, die ihnen zur Verfügung stehen, besser zu verstehen. Aufgrund der zahlreichen verschiedenen ESG-Angebote, -Benennungen und -Klassifizierungen kann es hilfreich sein, über Chancen und Risiken der unterschiedlichen Ansätze aufzuklären und so das Vertrauen der Anleger zu stärken, damit diese in ihren Portfolios mehr auf ESG-spezifische Strategien setzen. Finanzexperten, die ahnen, dass sich ihre Kunden für das Thema ESG interessieren, können dann mit Ressourcen wie Berichten von Vermögensverwaltungspartnern oder anderen Branchenexperten ein Grundlagenwissen aufzubauen.
Dies hilft ihnen nicht nur, die ESG-Landschaft zu verstehen. Wenn sie sich auf die unterschiedlichen Erfahrungen ihrer Kunden mit oder auf deren unterschiedlich großes Interesse für das Thema ESG einstellen, können Finanzexperten ihre Angebote an Kunden noch besser anpassen. ESG-Anlagen umfassen ein breites Spektrum von Anlagestrategien, was Finanzexperten wiederum ermöglicht, auf die ganze Bandbreite von Anlegerpräferenzen und -überzeugungen gezielt einzugehen.
Kunden, denen es mehr um die Renditen geht, könnten zum Beispiel fragen, wie sich ESG-Anlagen auf die Performance auswirken könnten, und zögern möglicherweise, etwas an ihrem Anlageansatz zu ändern. Bei diesen Kunden könnte es am besten sein, in einem Gespräch den Schwerpunkt auf Strategien oder Fonds mit einem Best-in-Class-Ansatz zu legen. Wie wir in Teil eins dieser Serie untersucht haben, setzt der Best-in-Class-Ansatz auf ein breites Anlageuniversum, konzentriert sich aber auf die Minderung des Portfoliorisikos. Zu diesem Zweck hält er nach Unternehmen Ausschau, die auf Basis ihrer finanziellen und ESG-Nachhaltigkeit gut aufgestellt sind, um langfristig erfolgreich zu sein. Der Best-in-Class-Ansatz kann einen Anlageansatz verfolgen, der nicht auf bestimmte Sektoren beschränkt ist, und zugleich anstreben, die ESG-Spitzenreiter in diesen Sektoren aufzuspüren.
Am anderen Ende des Spektrums wird es auch Kunden geben, die vom Thema ESG bereits sehr überzeugt sind. Transparenz und Zusammenarbeit werden bei diesen proaktiveren und bereits besser informierten Kunden zwei wichtige Punkte für produktive Beziehungen sein. Finanzexperten sollten auf differenziertere Fragen sowie auf mögliche Anfragen zu maßgeschneiderten ESG-Lösungen gefasst sein, etwa Anlagen mit Schwerpunkt auf einem bestimmten Thema. In diesen Fällen wird es nötig sein zu bestimmen, welche Vermögensverwalter über die Fähigkeiten und Angebote verfügen, mit denen gezielt auf diese Anfragen eingegangen werden kann.
Fazit
Die geopolitischen und sozioökonomischen Ereignisse in letzter Zeit haben zu Veränderungen geführt, die nun alle Aspekte unseres Lebens betreffen, auch die persönlichen Finanzen. Gleichzeitig sind die Risiken des Klimawandels größer geworden und dürften mit der Zeit weiter zunehmen. Trotz dieser Umwälzungen werden die Anlageerträge stets das vorrangige Ziel für Anleger bleiben – doch es gibt immer mehr Möglichkeiten und Wege, diese Erträge zu erzielen. Finanzexperten bietet dies die Chance, einen differenzierten Ansatz zu entwickeln, mit dem sie ihre Kunden sowohl mit Vermögensbildungsstrategien als auch mit ESG-orientierten Lösungen dabei unterstützen können, sich den weltweiten Herausforderungen in puncto Nachhaltigkeit zu stellen.
Es mag schwierig erscheinen, Gespräche über ESG-Anlagen anzustoßen. Doch sie können ein wichtiges Instrument für Finanzexperten sein, Kundenbeziehungen zu festigen, und zugleich Anlegern die Möglichkeit bieten, ein individueller zugeschnittenes Portfolio aufzubauen, das positive Wirkungen erzielt.
1„These are the corporate responses to the George Floyd protests that stand out.“ JUST Capital, 30. Juni 2020.
2„Exxon’s board defeat signals the rise of social-good activists.“ The New York Times, 9. Juni 2021.
3„Sustainable Investing for Advisors: Having Better Conversations with Clients.“ Fidelity Institutional Insights, 2021.
4„Asset Managers and Advisors May Be Overlooking Retail Investors’ Appetite for ESG Investing.“ Cerulli Associates. April 2021.
Bei Investments nach den Kriterien „Umwelt, Soziales und Unternehmensführung“ (ESG) oder nachhaltigen Investments werden Faktoren jenseits der traditionellen Finanzanalyse berücksichtigt. Das kann das Anlageuniversum einschränken und dazu führen, dass Performance und Risiken sich von denen am Gesamtmarkt unterscheiden und möglicherweise stärker auf bestimmte Bereiche konzentriert sind.