Die Portfoliomanager Guy Barnard, Tim Gibson und Greg Kuhl heben die Bedeutung hervor, die der Preissetzungsmacht als wesentliches Unterscheidungsmerkmal von Immobilienunternehmen in einem unsicheren Marktumfeld zukommt.
Der Wert eines ertragsgenerierenden Vermögenswerts – sei es ein Wohngebäude, ein Krebsmedikament, ein Video-Streaming-Dienst oder die Kuponzahlung einer Unternehmensanleihe – kann als Barwert zukünftiger Zahlungsströme ermittelt werden, die von dem Vermögenswert zu erwarten sind. Der Barwert ist ein Grundbegriff aus der Finanzmathematik und in Investitionsrechnungen gebräuchlich.
Die Bedeutung des Gegenwartswerts
Bei der Schätzung des Gegenwartswerts eines Cashflow-Stroms werden zwei wesentliche Inputs verwendet: der "Abzinsungssatz" und die geschätzten künftigen Zahlungsströme aus dem Vermögenswert.
Ohne allzu technisch zu werden, handelt es sich beim Abzinsungssatz um einen Satz der risikoadäquaten jährlichen Rendite, die von einer Investition erwartet wird. Abzinsungssätze werden üblicherweise auf Basis eines „risikofreien“ Zinssatzes aufgebaut, zum Beispiel der jeweiligen Rendite zehnjähriger US-Treasuries. Anleger sollten entschädigt werden, wenn die zukünftigen Zahlungsströme einer Investition im Vergleich zu einer US-Staatsanleihe relativ unsicher sind. Demnach rechtfertigt das zusätzliche Risiko, das in der Hoffnung auf Zusatzrenditen eingegangen wird, bei der Berechnung des Barwerts einen entsprechend höheren Abzinsungsfaktor.
In Finanzmodellen werden zukünftige Zahlungsströme durch einen angemessenen Abzinsungssatz geteilt, um ihren Barwert zu schätzen. Um einer höheren erwarteten Rendite Rechnung zu tragen, müssen die erwarteten künftigen Zahlungsströme jährlich abgezinst werden, mit dem Ergebnis, dass ein Zahlungsstrom in zehn Jahren heute weniger wert ist als der gleiche Zahlungsstrom in einem Jahr. Wenn wir dieser Logik folgen, dann beginnen wir auch zu verstehen, wie höhere Zinssätze theoretisch zu einem niedrigeren Barwert für alle finanziellen Vermögenswerte führen sollten. In der Praxis gibt es eine Vielzahl von Faktoren, die die Rendite einer Investition beeinflussen können. Ein wichtiger Faktor sind die Zinssätze: Der abrupte Anstieg der Zinsen in diesem Jahr (die Rendite zehnjähriger US-Treasuries verdoppelte sich dabei von 1,5 % zu Jahresbeginn auf rund 3,0 % per Ende Mai) hat die Volkswirtschaften und Märkte erheblich belastet, da die Kreditvergabe an Privatpersonen und Unternehmen restriktiver geworden ist. Diese Auswirkung spiegelt sich in den negativen Renditen wider, die sowohl die Aktien- als auch die Anleihemärkte weltweit im laufenden Jahr generiert haben.
Ertragssicherheit spendet etwas Trost
Neben den Zinssätzen als einer der wichtigsten Determinanten des Barwerts von Immobilien sollten wir auch noch den zweiten wesentlichen Faktor – die erwarteten zukünftigen Zahlungsströme – näher betrachten. Immobilien unterscheiden sich von vielen anderen Anlagearten. Der überwiegende Teil der Erträge ergibt sich hier aus Mietverträgen, sodass ein erheblicher Ertragsteil mit hoher Sicherheit bekannt ist. Dies spiegelt sich im relativ beständigen Gewinnwachstum wider, das US-amerikanische Real Estate Investment Trusts (REITs) in den letzten turbulenten Jahren im Vergleich zum S&P 500® Index gezeigt haben (vgl. Abbildung 1).
Als Immobilieninvestoren müssen wir in der Regel keine Schätzungen bezüglich der Produktionskapazität, der Verkaufszahlen oder der Frage vornehmen, ob vielleicht ein Wettbewerber eine neue Art von Service/Gadget herausbringen könnte, durch die sich die Nachfrage schnell verlagert und der Status quo sich ändert. Stattdessen versuchen wir herauszufinden, ob ein Vermieter in der Lage ist, die geschuldete Miete einzuziehen, und wie die Nachfrage nach zukünftig verfügbaren Flächen aussehen könnte.
Abbildung 1: Konsistenteres Gewinnwachstum von REITs im Vergleich zum breiteren Aktienmarkt

Quelle: Janus Henderson Investors, FTSE Russell, S&P Global Indices, Bloomberg, Stand: 27. Mai 2022. E = erwartete/prognostizierte Zahlen. Die Wertentwicklung in der Vergangenheit ist keine Garantie für zukünftige Ergebnisse.
Wichtige wesentliche Unterschiede zwischen Aktien und REITs:
Beteiligungspapiere unterliegen Risiken, einschließlich des Marktrisikos. Die Renditen schwanken in Abhängigkeit von Emittenten sowie von politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen. Immobilienaktien, einschließlich Immobilien-Investmentgesellschaften (REITs), können zusätzlichen Risiken ausgesetzt sein, unter anderem einem Zins-, Management-, Steuer-, Wirtschafts-, Umwelt- und Konzentrationsrisiko. Immobilienaktien, einschließlich REITs, reagieren zudem empfindlich auf Änderungen von Immobilienwerten und Mieteinnahmen, Immobiliensteuern, Zinssätzen, steuerlichen und regulatorischen Anforderungen, Angebot und Nachfrage sowie auf Veränderungen in den Managementfähigkeiten und der Bonität des Unternehmens. Bei REITs besteht zusätzlich die Gefahr, dass sie nicht die Voraussetzungen für bestimmte Steuervorteile oder für eine Registrierungsbefreiung erfüllen, was negative wirtschaftliche Folgen nach sich ziehen könnte.
Preissetzungsmacht im Immobiliensektor
In einem Umfeld, in dem die Zinsen steigen und Druck auf den Wert finanzieller Vermögenswerte ausüben, sollten Anleger den „Doppelschlag“ zu vermeiden versuchen, der sich einerseits durch reduzierte Schätzungen zukünftiger Zahlungsströme aufgrund einer sich verlangsamenden Konjunktur und andererseits durch höhere Zinssätze ergeben könnte. Aus unserer Sicht müssen sich Immobilienanleger darauf konzentrieren zu erkennen und zu verstehen, bei welchen Arten von Immobilien und geografischen Märkten das Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage für Vermieter günstig ist. In Märkten, in denen die Nachfrage das Angebot übersteigt, sind Vermieter eher in der Lage, von einer vollen Auslastung zu profitieren und bei auslaufenden Mietverträgen höhere Mieten zu verlangen – jetzt und möglicherweise auch in Zukunft. Wir nennen das Preissetzungsmacht und glauben, dass die Identifizierung von Vermietern mit diesem Vorteil der Schlüssel für ein erfolgreiches Immobilieninvestment ist.
Preissetzungsmacht gewinnt in Zeiten wie diesen, in denen eine hohe makroökonomische Unsicherheit herrscht, noch mehr an Bedeutung. Vermieter mit Vermögenswerten, die von langfristigen strukturellen Nachfragetreibern profitieren und/oder durch ein strukturelles Unterangebot geprägt sind, wie etwa Industrie- und Life-Science- (Laborflächen), Spezialwohn- und Technologieimmobilien, sind eher gut für langfristiges Wachstum positioniert.
Die Macht beständiger Cashflows
Abbildung 2 liefert ein konkretes Beispiel für die Preissetzungsmacht einzelner Immobilienarten. Wir zeigen hier die von in den USA notierten und bedeutende Immobilienarten repräsentierenden REITs gemeldeten Mietpreise für das erste Quartal 2022, als die Fundamentaldaten der Immobilienmärkte fast durchgängig als robust gewertet werden konnten. Zum Vergleich haben wir auch die Mietpreisdaten für das Gesamtjahr 2020 – ein Zeitraum, in dem die fundamentale Nachfragesituation in allen Teilen der Wirtschaft stark angespannt war – aufgeführt.
Es gibt keinen einheitlich perfekten Indikator. Die Fähigkeit, die Mietpreise in einem schwierigen Jahr wie 2020 aufrechtzuerhalten oder gar zu erhöhen und zwei Jahre später auch noch ein starkes Mietwachstum zu erzielen, deutet allerdings unseres Erachtens auf eine nachhaltige Preismacht hin.
Abbildung 2: Preissetzungsmacht: Mietzuwächse für bestimmte Immobilienarten in schwachen und starken Makroumfeldern

Quelle: Janus Henderson Investors, Stand: 20. Mai 2022; Ergebnisberichte verschiedener Unternehmen für das 1. Quartal 2022 und das 4. Quartal 2020. YoY = Veränderung gegenüber dem Vorjahr. GJ = Geschäftsjahr. Die Wertentwicklung in der Vergangenheit ist keine Garantie für zukünftige Ergebnisse.
Die seit Jahresbeginn zu beobachtende Volatilität an den Finanzmärkten ist Ausdruck einer erhöhten Unsicherheit, die derzeit in einem herausfordernden Umfeld mit steigenden Zinsen, Inflationsdruck und Wachstumsverlangsamung herrscht. Mit Blick auf die zweite Jahreshälfte glauben wir, dass die Identifizierung von Vermietern mit Preissetzungsmacht angesichts der anhaltend unsicheren makroökonomischen Lage zunehmend wichtig sein wird. Unseres Erachtens dürften Vermieter, die diesen Vorteil haben und in Teilen des Immobilienmarktes tätig sind, in denen die Inflation durch höhere Mieten leichter an die Mieter weitergegeben werden kann, eher positive reale Erträge generieren können.