Ich denke, der Schlüsselfaktor an den Aktienmärkten, nicht nur in Europa, war während des Sommers 2021 die Wiederbelebung, die Rückkehr von Wachstum gegenüber Substanz, das Gegenüber dieser beiden Anlagestile. Es hat eine weitere Welle der Outperformance von Wachstumsaktien gegenüber Value-Titeln gegeben. Das ist für uns zweifellos ungünstig. Wir sind weder intensiv auf Substanzwerte noch voll und ganz auf Wachstumstitel ausgerichtet, wir haben immer eine Mischung von Stilen. Unser Schwerpunkt liegt jedoch zweifellos eher auf dem Substanz- als auf dem Wachstumssegment.
Und genaugenommen, wenn man die Sommermonate und dann das Ende des Sommers betrachtet, und vielleicht kommen wir später noch einmal hierauf zurück, hat sich meiner Meinung nach eine echte Chance für Anleger in Europa herausgebildet. Gegen Ende des Sommers haben die Bewertungen von Wachstumswerten ein viel, viel, viel zu hohes Niveau erreicht, wie ein Gummiband, das stark überdehnt wurde. Und ich denke, dass der anfällige – und ich würde sogar sagen, der extrem anfällige Teil der Märkte im Moment die hoch bewerteten Wachstumsaktien sind. Andererseits sehe ich eine große Chance, wenn wir einmal die andere Seite der Medaille betrachten.
Der Aufschlag, der heute für sogenannte „Sicherheit“, sogenanntes „Wachstum“ oder sogenannte „Qualität“ gezahlt wird, ist extrem. Man kann das beklagen, und manchmal tue ich das auch, und frage mich, was sie tun, warum sie das Zehnfache des Umsatzes, das 15-Fache des Umsatzes, das 40-Fache des Gewinns zahlen. Und ich habe beobachtet, wie Aktien, eine bestimmte Kohorte sogenannter Wachstumsaktien, vom 25-Fachen des Gewinns auf das 35-Fache, das 45- und sogar 55-Fache des Gewinns gestiegen sind. Bei einigen dieser Titel haben wir meiner Meinung nach den Punkt erreicht, an dem man von Wahnsinn reden kann. Und das ist eine recht große Gruppe von Werten.
Nun, man kann das beklagen, und manchmal tue ich das auch, aber auf der anderen Seite kann man sich auch ein bisschen freuen. Und dann kauft man – ich will nicht „Rückstände“ sagen, denn das weckt alle möglichen anderen Assoziationen – aber halt die übriggebliebenen Titel. Diejenigen, die zurückgeblieben sind, aus Bereichen, die in Ungnade gefallen sind. Ich denke, die größte Chance, die ich sehe, und das ist wahrscheinlich der Grund, warum ich begeistert bin... so sieht übrigens meine Begeisterung aus. Aber wahrscheinlich bin ich deshalb mehr begeistert als sonst: Ich sehe eine enorme Chance bei europäischen Substanzwerten.
Und das ist interessant, weil es immer mit Herausforderungen verbunden ist. Als wertorientierter Anleger, zu denen ich mich immer gezählt habe, und wenn man es genau betrachtet, dann waren die Gewinner der letzten Zeit alles andere als wertorientiert, aber als wertorientierter Anleger sehe ich eine ausgezeichnete Chance bei europäischen Substanztiteln. Eine der Herausforderungen für einen Value-Investor bzw. einen wertbewussten Anleger ist, dass man Geduld haben und bereit sein muss, einsam zu sein, weil man oft konträre Ansichten vertritt. Von mir aus gerne. Ich bin im Laufe meiner Investment-Karriere oft einsam gewesen. Und häufig ist es auch ein einsames Unterfangen.
Und ich denke, es gibt einfach eingefleischte Strategen, eingefleischte Volkswirte, eingefleischte Marktbeobachter, eingefleischte Fondsmanager, eingefleischte Stockpicker. Und wenn man sich so sehr auf eine bestimmte Ausrichtung festlegt, verteidigt man seine Einschätzungen auch entsprechend. Value-Manager, also Deep Value-Manager, sagen vielleicht: Hier kommt die Inflation. Sie kommt. Eingefleischte Wachstumsmanager sagen: Nein, hört auf den Rentenmarkt. Alles ist in Ordnung, kommt schon, das Wasser ist warm. Und ich habe schon immer gesagt: man darf sich nicht dauerhaft auf eine bestimmte Ecke festlegen. Man darf niemals polarisiert werden.
Meiner Meinung nach wird uns diese „vorübergehende“ Inflation zumindest noch eine Weile begleiten. Und ab wann ist „vorübergehend“ nicht mehr vorübergehend? Und bitte, wir dürfen nicht vergessen, dass der Rentenmarkt … Wir befinden uns derzeit in einem Umfeld, in dem jeder – ob zu Unrecht oder nicht – darauf vertraut, dass die Zentralbanken das Narrativ und den Rentenmarkt kontrollieren. Vergessen wir nicht, dass die Geschichte zeigt, dass … als jemand, ich sage es mal unkonventionell, aber jemand, den ich verehrt habe, wirklich unkonventionell, da ich aus Glasgow stamme. Jemand, den ich verehrt habe, Margaret Thatcher, hat einmal gesagt, dass man sich nicht gegen die Märkte stemmen kann, weil sie sich letztlich gegen einen selbst richten werden. Und der Anleihemarkt hat immer wieder gezeigt, dass er ein Meister darin ist, sich einem zu widersetzen.
Mit anderen Worten: Seien Sie nicht überrascht, wenn der Anleihemarkt... Dies ist keine Prognose, aber wir sollten nicht überrascht sein, wenn der Anleihemarkt aufgeschreckt wird und zeigt, dass die Zentralbanker nicht wirklich die Zügel in der Hand haben. Man kann die Märkte nie kontrollieren, die Märkte kontrollieren uns. Nicht andersherum. Es würde mich daher nicht allzu sehr überraschen, wenn die Märkte anfangen würden, sich über diese längere „vorübergehende“ Phase Sorgen zu machen. Die Inflation ist fest im System verankert, und wir könnten in einem Jahr, im Herbst 2022, hier sitzen und die Inflationszahlen sind immer noch höher als erwartet. Wenn das der Fall ist, und zwar lange vorher, könnte es leicht zu Verunsicherung am Rentenmarkt kommen. Das würde durchaus interessant werden.