Der Verlust der Biodiversität aus Sicht der Anleger: Schlussfolgerungen einer Forschungsreise

Der Verlust der Biodiversität trifft uns alle, und der Finanzwelt fällt bei der Bewältigung dieser globalen Herausforderung eine Schlüsselrolle zu. Die Spezialisten für Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (ESG) und Anlageexperten von Janus Henderson führten kürzlich eine Studienreise zum Durrell Wildlife Conservation Trust durch. Bhaskar Sastry fasst die wichtigsten Erkenntnisse und Überlegungen aus dem zweitägigen Besuch zusammen.
Wenn der Mensch weiterhin die Natur zerstört, sägt er an dem Ast, auf dem er sitzt, denn wer die Natur vernünftig schützt, schützt gleichzeitig die Menschheit.
Gerald Durrell, Schriftsteller und Naturschützer

Janus Henderson unterstützt Durrell, und wir haben für Durrells Naturschutzprojekte gespendet. Im Jahr 2021 finanzierten wir Bemühungen zum Schutz der Pflugschar-Schildkröte in Madagaskar, der am stärksten bedrohten

Janus Henderson organisierte eine zweitägige Forschungsreise, um von dem Fachwissen und den Erkenntnissen von Durrell zu profitieren und mehr über die Naturschutzarbeit, die Herausforderungen, die der Verlust der Biodiversität mit sich bringt, und die Rolle des Finanzwesens beim Schutz der Natur zu erfahren. Mitglieder unserer Global Sustainable Equities, Global Natural Resources, Global Technology Leaders, UK Responsible Income und Environmental, Social and Governance (ESG) Investment Teams investierten Zeit, um ihr Verständnis für den Verlust der Biodiversität und die Rolle der Investoren bei der Bewältigung dieser Herausforderung zu vertiefen.
Der Verlust der Biodiversität: eine enorme Herausforderung
Der erste Tag konzentrierte sich auf das Ausmaß des Verlusts der Biodiversität und der Zerstörung von Ökosystemen sowie auf die Notwendigkeit globaler Schutzmaßnahmen. Weltweit sind eine Million Pflanzen- und Tierarten vom Aussterben bedroht1 und die Tierpopulationen sind in nur 50 Jahren um fast 70% zurückgegangen.2 Das ist eine Tragödie für die Menschheit.3 Die Natur bietet nicht nur intrinsischen Nutzen in Form von individuellem, gemeinschaftlichem und gesellschaftlichem Wohlbefinden, sondern auch enorme extrinsische finanzielle Vorteile. Mehr als die Hälfte des weltweiten Bruttoinlandsprodukts (BIP), d. h. 44 Billionen US $, entfallen auf Aktivitäten, die in geringem oder hohem Maße von der Natur abhängig sind, so das Weltwirtschaftsforum4.
Außerdem besteht eine ausgeprägte Wechselwirkung zwischen dem Verlust der Biodiversität und dem Klimawandel, die letztendlich zwei Seiten derselben Medaille sind. Indem wir uns für den Schutz der Biodiversität einsetzen, schützen wir die Ökosysteme und letztlich auch das Klima.
Dennoch verschwinden weltweit wichtige Arten, und die Ökosysteme brechen vor unseren Augen zusammen. Wir können ein gesundes Ökosystem mit einem Jenga-Turm vergleichen, bei dem die einzelnen Blöcke verschiedene Arten darstellen. Wie Jenga-Türme sind Ökosysteme zunächst stabil – auch wenn ein paar Arten (Blöcke) entfernt werden, funktioniert das System noch. Verschwinden jedoch zu viele Arten, bricht die gesamte Struktur zusammen.

Viele Kaufentscheidungen von Verbrauchern in der westlichen Welt und in China tragen zur Abholzung der Wälder und zur Ausbeutung der Arten in den tropischen Regenwäldern und anderen Teilen der Welt bei. Ein Beispiel dafür ist die enorme Nachfrage chinesischer Verbraucher nach Palisanderholz, die zu einer nicht nachhaltigen Abholzung in Madagaskar geführt hat.7
Dennoch handeln die Regierungen nicht. Schätzungsweise 1 Billion US $ an öffentlichen Geldern fließen in Subventionen an Wirtschaftssektoren, die der Biodiversität schaden – fünfmal so viel wie in den Schutz der Natur.8 Durrell konzentriert sich darauf, das Bewusstsein für diese besorgniserregenden Trends zu schärfen, damit sich Einstellungen und Verhaltensweisen ändern. Das Geld, das zur Finanzierung von Naturschutzbemühungen benötigt wird, ist jedoch völlig unzureichend.
Diese Themen wurden durch Fallstudien aus der ganzen Welt zum Leben erweckt, wobei einige der ökologisch wichtigsten Gebiete weltweit – Südostasien, Brasilien und Madagaskar – hervorgehoben wurden, in denen Durrell besonders aktiv ist:
- Wie die massive weltweite Nachfrage nach Palmöl zur großflächigen Abholzung der Wälder in Sumatra und Borneo geführt hat, was sich auf die Orang-Utans auswirkt, die nun vom Aussterben bedroht sind
- Warum die Zahl der Lemuren, Mungos und verschiedener anderer Arten in den Wäldern Madagaskars durch die Auswirkungen von Armut, schwacher Regierungsführung, durch den Klimawandel bedingter menschlicher Migration und den Druck der globalen Rohstoffmärkte zurückgegangen ist
- Wie die illegale Fischerei von Totoabas im Golf von Kalifornien dazu geführt hat, dass die Art – und ein weiterer Fisch, der Vaquita – vom Aussterben bedroht ist. Totoaba und Vaquita haben unter der unersättlichen Nachfrage nach der Schwimmblase des Totoaba in der traditionellen chinesischen Medizin gelitten. Dies führte dazu, dass die mexikanische Regierung den Fischfang gänzlich verbot, so dass die örtliche Fischereigemeinschaft ohne Einkommen und Arbeitsplätze dastand.
- Eine Erfolgsgeschichte, die Einblicke in kreative Lösungen für die Wiederaufforstung des brasilianischen Atlantikwaldes gab, einschließlich der Verwendung natürlicher Baumkronenbrücken, um noch intakte Regenwaldgebiete miteinander zu verbinden, damit Tiere besser durch die Wälder wandern können. Außerdem wurde gezeigt, wie Kameras und akkustische Technologien ein besseres Verständnis der Funktionsweise von Ökosystemen ermöglichen und dazu beitragen, dass sich die Populationen von Vögeln und anderen Arten, einschließlich des gefährdeten schwarzen Löwentamarins, erholen.
Nachhaltige Finanzen
Der zweite Tag der Reise konzentrierte sich auf die Rolle des Finanzsektors beim Umgang mit naturbezogenen Risiken und Chancen. Andrew Mitchell, ein führender Vordenker auf dem Gebiet der Nachhaltigkeit und stellvertretender Vorsitzender der Taskforce on Nature-related Financial Disclosures (TNFD), erläuterte die entscheidende Bedeutung negativer externer Effekte, bei denen die Produktion oder der Verbrauch eines Gutes nicht in den Preis einkalkuliert ist und zu Kosten für Dritte führt. Die traditionelle Wirtschaftswissenschaft hat es versäumt, die Kosten zu berücksichtigen, die wir alle für den Verlust der Biodiversität, den Klimawandel, die Umweltverschmutzung und andere Umweltauswirkungen tragen.

Die TNFD zielt darauf ab, eine Verlagerung der globalen Finanzströme hin zu naturfreundlichen Ergebnissen zu unterstützen, indem sie einen Risiko- und Offenlegungsrahmen schafft, an den sich die Unternehmen halten müssen, ähnlich wie die Task Force on Climate-Related Financial Disclosures (TCFD) für Klimarisiken. Der Rahmen wurde im Juni 2021 unter Mitwirkung von 35 Vertretern aus dem Finanz- und Unternehmenssektor ins Leben gerufen. JHI ist ebenfalls Mitglied des TNFD-Forums. Die endgültige Fassung des TNFD-Rahmens soll Ende 2023 veröffentlicht werden, und wenn wir von einer ähnlichen Entwicklung wie bei der TCFD ausgehen, könnten wir in einigen Jahren mit biodiversitätsbezogenen Berichtspflichten für Unternehmen, Investoren und Vermögensinhaber rechnen.
Das Konzept der Wesentlichkeit ist für Diskussionen über naturbezogene Risiken von Bedeutung. Traditionell bezog sich der Begriff der Wesentlichkeit auf Themen, die für ein Unternehmen oder einen Sektor von finanzieller Bedeutung sind. Der Verlust der Biodiversität ist beispielsweise für Lebensmittelproduzenten besonders relevant, da er sich auf die Nahrungsmittelerträge auswirken könnte. Die doppelte Wesentlichkeit erweitert dieses Konzept und besagt, dass Unternehmen auch die aktuellen und potenziellen negativen Auswirkungen ihrer Entscheidungen auf Mensch und Umwelt berücksichtigen sollten. Die dynamische Wesentlichkeit erkennt außerdem an, dass Probleme im Laufe der Zeit finanziell wesentlich werden können. Was also heute finanziell unwesentlich erscheint, kann sich morgen schnell als geschäftskritisch erweisen, wie wir zum Beispiel an der COVID-19-Pandemie gesehen haben. Die TNFD stützt sich auf das Konzept der 'sich entwickelnden Wesentlichkeit', eine Kombination aus doppelter und dynamischer Wesentlichkeit.
Es wurden verschiedene Biodiversitätsansätze und -messgrößen erörtert, darunter die LEAP-Methode (Locate, Evaluate, Assess and Prepare) des TNFD, die STAR-Methode (Species Threat, Abatement and Recovery) der International Union for Conservation of Nature (IUCN) und der Corporate Biodiversity Footprint (CBF) des Fintech-Unternehmens Iceberg Data Lab. Standardisierte Biodiversitätsdaten, -methoden und -messgrößen entwickeln sich weiter, was unterstreicht, wie wichtig es ist, bei den Entwicklungen zu Biodiversitätsrisiken auf dem neuesten Stand zu bleiben. Als Mitglied des TNFD-Forums unterstützt JHI die Entwicklung von genaueren Biodiversitätsdaten und -messgrößen.

Zwischen den Schreibtischtätigkeiten hatte das Team die Gelegenheit, Zeit im Zoo zu verbringen, unter anderem mit Orang-Utans, Makaken, Tamarinen, Riesenschildkröten, Pfeilgiftfröschen, Nashornvögeln und rosa Tauben. Hier wurde das Gelernte lebendig. Wir haben zwar schon früher über den Biodiversitätsverlust geschrieben, aber diese wundervollen und einzigartigen Tiere zu sehen und zu hören, hat uns die Krise deutlich vor Augen geführt, ebenso wie die außergewöhnlichen Anstrengungen, die Naturschützer unternehmen, um gefährdete Arten zu retten, uns demütig gemacht haben.
Wert zuweisen oder nicht?
Den Abschluss des Kurses bildete eine Diskussion im Freien über die Vor- und Nachteile einer Wertzuweisung für die Natur, in der verschiedene Pro- und Contra-Argumente vorgebracht wurden. Es entspricht der Haltung der Machtinhaber, der Natur einen wirtschaftlichen Wert zuzuweisen. Um einen naturfreundlichen Wandel voranzutreiben, müssen wir die Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft davon überzeugen, unsere Abhängigkeiten von der und Auswirkungen auf die Natur zu verstehen und zu würdigen. Dies würde eine genauere Einschätzung der systemischen Bedrohungen ermöglichen, die der Verlust der Biodiversität und die Schädigung der Ökosysteme mit sich bringen. Dann könnten relevante Messgrößen und Ziele festgelegt werden, die auf die Wiederherstellung der Ökosysteme, auf die wir angewiesen sind, ausgerichtet sind.

Zu diesem Schluss kommt der von der britischen Regierung in Auftrag gegebene Bericht Dasgupta Review, in dem die Entwicklung neuer Rechnungslegungssysteme gefordert wird, die in den Bilanzen von Ländern und Unternehmen die Biodiversität und das Klima berücksichtigen. In der Dasgupta Review heißt es, dass wir das BIP-Wachstum durch ein Maß für 'integrativen Wohlstand' ersetzen sollten, das Naturkapital, Humankapital und produziertes Kapital berücksichtigt, wobei der Schwerpunkt darauf liegen soll, das Naturkapital zu schützen und im Laufe der Zeit zu vermehren.
Andere wiederum halten es für unzureichend, die Schönheit und den Wert der Natur auf eine Reihe von Zahlen zu reduzieren. Der Wert eines Spaziergangs über eine Wiese, des Klangs von Vogelgezwitscher oder des Dufts von Geißblatt für unser Wohlbefinden ist unschätzbar, ebenso wie das Gefühl, verliebt zu sein oder ein lebenslang verfolgtes Ziel zu erreichen. Doch in einer Welt, in der wir uns immer weiter von der Natur entfernen und einen Großteil unseres Lebens virtuell am Bildschirm und umgrenzt von Beton, Stahl und Glas verbringen, wissen wir sie nicht zu schätzen.

Wir haben uns gefragt, ob dies der Grund dafür ist, dass die Menschheit den Wert der Natur systematisch unterschätzt. Die wenigen Stimmen, die sich gegen die Zerstörung von Arten und Lebensräumen erhoben haben, wurden durch den unaufhaltsamen wirtschaftlichen Fortschritt, den Aufstieg der Technologie und die unerbittliche Kommodifizierung von Waren und Dienstleistungen übertönt. Der Schutz der Natur und die Notwendigkeit einer kreislauforientierten, nachhaltigen Wirtschaft sind zu Gunsten eines immer größeren BIP-Wachstums in den Hintergrund getreten. Gerald Durrell sagte einmal:
Tiere und Pflanzen haben niemanden, der sie verteidigt, außer uns, die Menschen, die die Welt mit ihnen teilen.
Als wir in der Nachmittagssonne inmitten der Rufe einer Vielzahl von beeindruckenden (aber gefährdeten) Arten über unsere Zeit bei Durrell nachdachten, waren wir uns einig. Mit neuem Wissen und neuen Werkzeugen ausgestattet, fühlten wir uns alle befähigt, im besten Interesse unseres Planeten zum Schutz und zur Wiederherstellung der Natur beizutragen.

Das Team von Janus Henderson Investors mit Dr. Richard Young, Director of Conservation Knowledge bei Durrell, und Tim Wright, Conservation Training Manager bei Durrell.
Bei Investments nach den Kriterien „Umwelt, Soziales und Unternehmensführung“ (ESG) oder nachhaltigen Investments werden Faktoren jenseits der traditionellen Finanzanalyse berücksichtigt. Das kann das Anlageuniversum einschränken und dazu führen, dass Performance und Risiken sich von denen am Gesamtmarkt unterscheiden und möglicherweise stärker auf bestimmte Bereiche konzentriert sind.
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Fußnoten
1 UN-Bericht: Nature's Dangerous Decline 'Unprecedented'; Species Extinction Rates 'Accelerating' - United Nations Sustainable Development, Mai 2019.
2Einem neuen Bericht zufolge sind die Tierpopulationen weltweit in nur 50 Jahren um fast 70 % zurückgegangen - CBS News, September 2020.
3Nature Is Speaking – Julia Roberts is Mother Nature | Conservation International (CI) - www.youtube.com/watch?v=WmVLcj-XKnM, October 2014.
4Die Hälfte des weltweiten BIP hängt mäßig oder stark von der Natur ab, so ein neuer Bericht > Pressemitteilungen | World Economic Forum (weforum.org), Januar 2020.
5Midway Albatross an Icon of the Plastic Pollution Problem — Plastic Pollution Coalition, September 2015.
6Microplastics are in our bodies. How much do they harm us? (nationalgeographic.com), April 2022.
7The Rosewood Trade: An Illicit Trail from Forest to Furniture - Yale E360, Januar 2019.
8The Little Book of Investing in Nature – Global Canopy, 2021.
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