Hamish Chamberlayne, Head of Global Sustainable Equities, erläutert, weshalb der verantwortungsvolle Einsatz von Kunststoffen ein wichtiger Aspekt bei der Bewertung der Nachhaltigkeit eines Unternehmens ist.
Zentrale Erkenntnisse:
- Plastikmüll wird zu einem immer größeren Problem, und schon bald könnten die resultierenden Schäden irreparabel sein.
- Die Regierungen haben mit ersten Maßnahmen reagiert, um die Umweltverschmutzung durch „unnötiges“ Plastik einzudämmen, und wir gehen davon aus, dass in naher Zukunft weitere Schritte folgen werden.
- Der verantwortungsvolle Einsatz von Kunststoffen ist bei der Bewertung der Nachhaltigkeit eines Unternehmens ein bedeutender Aspekt und wird für langfristige Anlageentscheidungen daher immer wichtiger.
Eine im Jahr 2015 durchgeführte Studie ergab, dass die kumulierte Masse aller jemals erzeugten neuen Kunststoffe auf 8,3 Milliarden Tonnen angewachsen war, wobei Schätzungen zufolge 6,3 Milliarden Tonnen davon im Müll landeten. Fast 80 % dieses Mülls liegt auf Deponien oder verschmutzt die natürliche Umwelt, und etwa 9 % bzw. 12 % wurden recycelt bzw. verbrannt. Mit einem Anteil von rund 40 % aller Nicht-Faser-Kunststoffe tragen Kunststoffverpackungen wesentlich zum Problem bei.1 Bedenkt man, dass weniger als die Hälfte der eine Million Plastikflaschen, die jede Minute weltweit verkauft werden, recycelt werden2 und einige Polymere sich erst nach über 500 Jahren zersetzen, ist das Problem des Plastikmülls alles andere als kurzfristig.3
Regulatorische Maßnahmen zur Bekämpfung von Einwegkunststoffen
Im Januar 2018 trat in China zeitgleich mit einem rapiden Anstieg des Medieninteresses für Plastikmüll in den Meeren ein Gesetz in Kraft, das die Einfuhr von Papier- und Kunststoffabfällen verbietet.4 In Anbetracht der Tatsache, dass noch 2016 rund zwei Drittel des weltweiten Plastikmülls nach China gingen, hat diese Gesetzgebung weitreichende Konsequenzen für Regierungen, Unternehmen und Verbraucher gehabt.5 Das hat die Debatte über Kunststoffabfälle angeizt und andere Länder gezwungen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Einige europäische Länder sind bei gesetzlichen Regelungen zur Beschränkung der Verwendung von Kunststoff vorangeprescht: Großbritannien und Schottland kündigten im Januar 2018 ein Verbot von Mikroperlen und Wattestäbchen mit Kunststoffstielen an,6, 7 während Frankreich seit 2020 Plastikbesteck verbietet.8, 9
Bislang hat sich die Regulierung auf Einwegkunststoffe und Produkte konzentriert, die als unnötig angesehen werden, wie Mikroperlen, Wattestäbchen, Einwegbesteck, Strohhalme und Kaffeerührstäbchen. Andere bedeutende Verschmutzungsquellen werden hingegen nicht reguliert.
Nicht nur Verpackungen
National Geographic zufolge endet weniger als die Hälfte aller Kunststoffe als Verpackung. Der Rest wird für andere Anwendungen verwendet, unter anderem in den Bereichen Bau, Transport, Elektronik, Konsumgüter, Textilien und Möbel.10 Es wird sogar davon ausgegangen, dass Kunststoffabfälle aus anderen Anwendungen als Verpackungen eher als Mikroplastik im Meer landen, da Abflüsse und Kanäle als „Verschmutzungsvektoren“ fungieren.
Schätzungen zufolge verursachten Textilfasern im Jahr 2015 42 Millionen Tonnen Plastikverschmutzung, so dass Kleidung einen erheblichen Anteil an der Verschmutzung der Meere hat.11 Genau wie Mikrofasern durch das Waschen von Kleidung in die Meere transportiert werden, gelangen Abrieb und Schmutz, vor allem von Autoreifen, über die Kanalisation und Flüsse aus Städten ins Meer. Schätzungen zufolge stammen 63 % der Mikrokunststoffe in Ozeanen primär aus Synthetik-Textilien und Autoreifen.12
Der Fokus auf Einwegkunststoffe und -verpackungen ist zwar gerechtfertigt, aber auch das umfassendere Problem der Kunststoffverschmutzung muss angegangen werden. Die Umweltversammlung der Vereinten Nationen (UNEA) wird voraussichtlich im Jahr 2022 mit Beratungen über ein wegweisendes Abkommen zur weltweiten Kontrolle der Plastikverschmutzung beginnen, wobei die Verhandlungsführer Vorschläge für rechtsverbindliche Regeln für die allgemeine Verwendung und Entsorgung von Plastik erörtern sollen.13
Wir sind davon überzeugt, dass eine verantwortungsvolle Nutzung wahrscheinlich eine sehr viel größere Positivwirkung haben wird als die vollständige Vermeidung jeglichen Kunststoffs. Die Herausforderung besteht darin, zwischen dem Nutzen der Verwendung und den Kosten für eine vollständige Vermeidung abzuwägen. Die Ermutigung zu einer verantwortungsvollen Verwendung erfordert oft die Bewertung einer gesamten Lieferkette unter Berücksichtigung von Faktoren wie Ressourceneffizienz, Langlebigkeit der Produkte und Nutzung von Initiativen zur Kreislaufwirtschaft.
Indikatoren für verantwortungsvolle Verwendung
Führende Unternehmen dürften ihre Chancen durch branchenübergreifende Zusammenarbeit im öffentlichen und privaten Sektor maximieren. Die Indikatoren, nach denen in führenden Unternehmen gesucht werden sollte, lassen sich in drei große Bereiche unterteilen
- Transparenz und Verantwortung
Der Umfang der freiwilligen Offenlegung durch Unternehmen kann angesichts der Abkehr von Verbrauchergruppen von kunststofflastigen Einkäufen als Indikator für die potenzielle Belastbarkeit verwendet werden. Eine proaktive Offenlegung und Zielfestlegung kann auch das Risiko verringern, Opfer der von oben verordneten Verbote zu werden. Im besten Fall sind diese Ziele transparent und in den Unternehmenswerten verankert. Eine integrierte Berichterstattung, die der Wirkung, dem Produkt oder den Aktivitäten des Unternehmens eine angemessene Bedeutung beimisst, sollte ein größeres Gewicht haben als die isolierte Veröffentlichung von Statistiken.
2. Materialverbrauch – recycelter Inhalt und Kreislaufwirtschaft
Eine Erhöhung des Anteils der von Unternehmen verwendeten recycelten Inhalte kann Veränderungen stärker vorantreiben als die Förderung der Produktion von wiederverwertbaren Artikeln. Das könnte sich durch die wachsende Nachfrage nach recyceltem Material auf die Praktiken weiter entlang der Lieferketten auswirken. Allgemein ist dies zwar noch nicht möglich, aber Unternehmen, die frühzeitig Forschung im Bereich der Materialverwendung betreiben, werden wahrscheinlich davon profitieren. Die verwendeten Kunststoffarten werden mit der Entwicklung der Recycling-Infrastruktur abnehmen. Daraus werden sich Chancen für führende Unternehmen in dem Bereich ergeben. Solange das Angebot an recycelten Polymeren nicht zunimmt und sich stabilisiert, werden äußerst ehrgeizige Unternehmen aufgrund der Verfügbarkeit von Recyclingmaterial die Zielvorgaben für die Verwendung von Recyclingmaterial jedoch wahrscheinlich verfehlen.
Strategien, die entweder das Konzept der Kreislaufwirtschaft in ihre Geschäftsabläufe integrieren oder das Material komplett verbannen, deuten auf langfristiges Denken in diesem Bereich hin. Die frühzeitige Integration von Modellen der Kreislaufwirtschaft, wie Rücknahmeinitiativen, Rückwärtslogistik und modulares Design, bietet Potenzial für erheblichen Nutzen durch Effizienzsteigerung, Anerkennung innerhalb der Branche und First-Mover-Vorteile.
3. Kooperation
Chancen bestehen aufgrund der zukünftig steigenden Nachfrage nach Recyclinganlagen, neuen Logistiklösungen für die Kreislaufwirtschaft oder Pfandinitiativen sowie neuer Materialien, die als Ersatz für Einwegkunststoffe benötigt werden. Viele dieser Entwicklungen sind branchenübergreifend, sodass Unternehmen, die Kooperationen gründen oder sich ihnen anschließen, besonders erfolgreich sein dürften. Das gilt besonders für solche, die vertikal entlang von Wertschöpfungsketten aktiv sind und in Recycling-Technologie und -Infrastruktur investieren.
Akteure, die mit politischen Entscheidungsträgern zusammenarbeiten, um das Verbraucherverhalten zu beeinflussen, werden wahrscheinlich von einem positiven öffentlichen Image und möglicherweise staatlicher Unterstützung profitieren, wobei Programme zur Verbesserung der Verwertungsquoten zudem den Vorteil bieten, dass sie die Verfügbarkeit von Recyclingmaterial erhöhen.
Ein Balanceakt
Die Identifizierung der Hauptquellen für die Umweltrisiken und -chancen ist ein komplexer, fortlaufender Prozess. Der vollständige Nachhaltigkeitseffekt der Kunststoffverwendung ist das Ergebnis vieler zusammenhängender – und oft unklarer – Faktoren. Beispielsweise wurden Lebensmittelverpackungen von Verbrauchergruppen und Aufsichtsbehörden ins Visier genommen, obwohl die Verpackungen nachweislich dazu beitragen, dass Lebensmittel sicher geliefert, die Haltbarkeit verlängert und Lebensmittelabfälle reduziert werden. In ähnlicher Weise ist die Versorgung mit Medikamenten, sauberem Wasser und sterilen Produkten von Kunststoff abhängig, ebenso wie zahlreiche Effizienzsteigerungen beim Umgang mit Ressourcen in der Transport- und Logistikbranche.
Die Relevanz des Einsatzes von Kunststoffen ist je nach Unternehmen und Branche sehr unterschiedlich. Daher gibt es kein Standardrezept oder keinen Indikator für positive Auswirkungen, Anlagerisiken oder Anlagechancen. Wir halten Ausschau nach Unternehmen, die einen bewussten, transparenten und konsequenten Ansatz – in Bezug auf sowohl Produkte/Dienstleistungen als auch die eigenen Betriebsabläufe – verfolgen, da dies unserer Meinung nach die beste Gewähr für die langfristige Entwicklung eines Unternehmens bietet.
Quellenverzeichnis
1R. Geyer, J. R. Jambeck and K. L. Law, „Production, use, and fate of all plastics ever made“ Science Advances, Band 3, Nr. 7, 1 7 2017.
2Plastic Soup Foundation, „The Worlds Population Consumes 1 Million Plastic Bottles Every Minute“, abgerufen am 24. Februar 2022
3World Wide Fund for Nature (WWF) Australia, „The lifecycle of plastics“, Stand: 2. Juli 2021, abgerufen am 24. Februar 2022
4UN Environment, „China’s trash ban lifts lid on global recycling woes but also offers opportunity“, Stand: 6. Juli 2018, abgerufen am 24. Februar 2022
5Bloomberg, „China Upended the Politics of Plastic and the World Is Still Reeling”, Stand: 21. Januar 2020, abgerufen am 24. Februar 2022
6Kevin Keane, BBC News, „Scotland ban announced for plastic cotton buds“, Stand: 11. Januar 2018, abgerufen am 24. Februar 2022
7Pressemitteilung der britischen Regierung, „World leading microbeads ban comes into force“, Stand: 19. Juni 2018, abgerufen am 24. Februar 2022
8Climate Action, „France ban plastic plates and cutlery“, Stand: 20. September 2016, abgerufen am 24. Februar 2022
9Umweltprogramm der Vereinten Nationen, „World leaders set sights on plastic pollution“, Stand: 16. Februar 2022, abgerufen am 24. Februar 2022
10National Geographic, „Fast facts about plastic pollution“, Stand: 20. Dezember 2018, abgerufen am 24. Februar 2022
11Europäische Umweltagentur, „Plastic in textiles: towards a circular economy for synthetic textiles in Europe“, Stand: 17. September 2021, abgerufen am 24. Februar 2022
12 J.Boucher and D. Friot, ICUN, „Primary microplastics in the oceans: A global evaluation of sources“, 2017.
13Umweltprogramm der Vereinten Nationen, Februar 2022