Wo sehen Sie 2020 die größten Anlagechancen und -risiken für Ihre Anlageklasse?
Jenna Barnard: Mit Blick auf die Chancen und Risiken bei Anleihen muss man bedenken, dass es sich hierbei um eine relativ simple Anlageklasse handelt. Staatsanleiherenditen und Zinsen folgen der Veränderungsrate bei Wachstum und Inflation. In den letzten zwölf Monaten haben Anleihen ausgezeichnet zur Diversifizierung von Portfolios und Aktienrisiken beigetragen. Als Wachstum und Inflation ihren Höhepunkt erreichten, markierten auch die Anleiherenditen weltweit ihren Höhepunkt.
Die Frage für das bevorstehende Jahr lautet also, ob wir bei Wirtschaftswachstum und Inflation die Talsohle durchschreiten. Darüber wird seit September intensiv diskutiert. Erste Anzeichen deuten darauf hin, dass die Talsohle im Produktionszyklus erreicht wird und Wachstum und Inflation langsam wieder anziehen könnten. In diesem Fall ist davon auszugehen, dass Anleihen schwere Zeiten bevorstehen. Wie gesagt handelt es sich um eine simple Anlageklasse, die zur Portfoliodiversifizierung beiträgt, da sie auf die Veränderungen bei Wirtschaftswachstum und Inflation reagiert.
Gibt es zentrale Themen, die für Ihre Strategie besonders relevant sind?
John Pattullo: Im Mittelpunkt unserer Anleihestrategie steht wohl unser Bestreben dafür zu sorgen, dass sich Anleihefonds auch wie Anleihefonds verhalten. Wir wollen unseren Kunden Überraschungen ersparen. Wir hoffen, dass sie unsere Philosophie und unsere Strategie verstehen und wissen, dass wir alles tun, um Überraschungen zu vermeiden.
Wir sind leidenschaftliche Verfechter einer aktiven Vermögensallokation. Wir sind also weder auf Gilts oder andere Staatsanleihen noch auf die Investment-Grade-Kategorie, auf Kredit oder das Hochzinssegment fixiert. Wir können die Zins- und die Kreditsensitivität unabhängig voneinander variieren, um gute, langfristige und zuverlässige Renditen für unsere Kunden zu erzielen. Daneben müssen wir die Abwärtsrisiken unbedingt im Blick behalten. Massive Verluste gilt es folglich unter allen Umständen und um jeden Preis zu vermeiden. Ich finde, das passt gut zu unserer Titelauswahl, die wir als vorsichtig ertragsorientiert bezeichnen. Wir bevorzugen große, nicht-zyklische1, zuverlässige Qualitätswerte, auf die wir uns, wie wir im Laufe der Zeit festgestellt haben, verlassen können.
Wie haben Ihre Erfahrungen in 2019 Ihren Ansatz oder Ausblick für 2020 verändert?
Jenna Barnard: Unsere Einschätzungen zu Anleiherenditen und Zinsen deckten sich nicht mit der Konsensmeinung. Wir gingen davon aus, dass sie sehr lange auf niedrigem Niveau verharren würden. Wir haben nie die Konsensmeinung geteilt, wonach sich bei den Anleiherenditen und an den Rentenmärkten eine Blase gebildet hat. 2019 hat sich unsere Einschätzung bestätigt, der sich inzwischen auch der Konsens angeschlossen hat. Endlos wurde über die sogenannte Japanifizierung diskutiert, und rund um den Globus verschieben Zentralbanken langsam ihre Reaktionsfunktion2. Inzwischen sehen die Währungshüter die größte Herausforderung in der bereits seit 2009 zu niedrigen Inflation. Vor allem die US-Notenbank Federal Reserve hat sich dahingehend geäußert. Ganz anders als vor 18 Monaten, als sie einen Inflationsanstieg noch als größte Herausforderung eingestuft hatte.
Wir haben also unsere Philosophie oder unseren Ansatz nicht geändert, sondern der Konsens hat sich interessanterweise unserer Einschätzung angeschlossen.
Sollte man eine bestimmte Grafik als Schlüsselindikator für Veränderungen 2020 im Auge behalten?
John Pattullo: Wir befassen uns ein Leben lang mit einer Fülle von Charts und bemühen uns intensiv herauszufinden, ob sich verschiedene Charts oder Anlageklassen wechselseitig bestätigen, ob sie gängige Einschätzungen und Hinweise untermauern oder widerlegen. Denn manchmal widersprechen sie sich tatsächlich. Am wichtigsten ist meines Erachtens jedoch die Grafik zur Stärke des US-Dollars.
Natürlich wird heftig diskutiert, ob der Wirtschaft eine weiche Landung bevorsteht und wir uns in der Zyklusmitte befinden oder ob eine harte Landung droht und wir in der späten Zyklusphase sind. Der erste Fall würde eher für den Aktienmarkt sprechen, der zweite eher für den Rentenmarkt.
Eins steht für mich allerdings fest: Eine wirklich weiche Landung und eine Reflation sind ohne einen schwachen Dollar unwahrscheinlich. Das ist ein sehr wichtiger Punkt. In diesem Zusammenhang befassen wir uns mit unzähligen Grafiken, von denen viele wichtig sind. Entscheidend sind aber wohl der Ölpreis (stellvertretend für die allgemeine Nachfrage), der Verlauf der Renditekurve3 (für uns selbstverständlich, wir sind schließlich Anleihespezialisten), Geldmenge, Geldmengenwachstum sowie die Finanzierungsbedingungen. Ehrlich gesagt könnte ich Ihnen noch hundert andere nennen. Entscheidend dürfte aber die Dollarkurve sein. Auf sie kommt es meiner Meinung nach wirklich an.
Glossar
1Nicht-zyklisch: Unternehmen/Branchen, die Güter für den Grundbedarf produzieren, wie Versorger oder Hersteller von Verbrauchsgütern. Zyklische Unternehmen produzieren Waren und Dienstleistungen, die Verbraucher kaufen, wenn das Vertrauen in die Wirtschaftsentwicklung groß ist. Nicht-zyklische Unternehmen bieten dagegen Waren und Dienstleistungen an, auf die Verbraucher unabhängig von der Lage der Wirtschaft nicht verzichten können, wie Gas, Nahrungsmittel und Strom.
2Reaktionsfunktion: am Markt übliche Bezeichnung für die Art und Weise, wie eine Zentralbank ihre Politik anpasst.
3Renditekurve: stellt die Renditen von Anleihen vergleichbarer Qualität bei verschiedenen Laufzeiten grafisch dar. In einer normalen bzw. ansteigenden Renditekurve sind die Renditen von Anleihen mit längeren Laufzeiten höher als die von solchen mit kurzen Laufzeiten. Eine Renditekurve kann Aufschluss über die Markterwartungen hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung eines Landes geben.