Die Portfoliomanager Jason England und Daniel Siluk erläutern, warum das in kapitalisierungsgewichteten Anleihenindizes eingebettete Zinsrisiko die Anleger seit dem diesjährigen Ausverkauf an den Anleihemärkten vor akute Herausforderungen stellt.
Zentrale Erkenntnisse
- In einem Umfeld, in dem die geldpolitische Straffung sowohl die Anleihen- als auch die Risikomärkte unter Druck gesetzt hat, wurden die herkömmlichen Diversifizierungsvorteile in diesem Jahr außer Kraft gesetzt.
- Festzinsindizes spiegeln die erheblichen Durationsrisiken des gesamten Anleihemarktes wider, weshalb Strategien, die sich eng an solchen Benchmarks orientieren, von steigenden Zinsen akut betroffen sind.
- Angesichts anhaltenden Marktineffizienzen – und Risiken – sollten Anleiheinvestoren Strategien in Betracht ziehen, die bei der Steuerung der Durationsrisiken und bei der Aufteilung des Portfolios zwischen Staats- und Unternehmensanleihen größeren Spielraum bieten.
Die traditionellen Assetklassen schreiben in diesem Jahr tiefrote Zahlen, mit Verlusten in einigen Aktienindizes um bis zu 20 % und einem Anstieg der Renditen für Staatsanleihen in einigen Fällen um mehr als 200 Basispunkte (BP) über die Tiefststände von 2020. Der Großteil des Schadens entstand im Jahr 2022, wobei auch Unternehmensanleihen unter Druck gerieten und die Immobilienpreise in einigen Bereichen ebenfalls allmählich fallen. Selbst weniger traditionelle Anlageklassen wie Kryptowährungen, die mitunter massiv abgestoßen wurden, waren nicht immun. Lediglich die Rohstoffmärkte konnten in einem perfekten Sturm aus pandemiebedingten Angebotsengpässen und geopolitischen Ereignissen wie der Invasion in der Ukraine dem Abwärtssog entkommen.
Wenn die Gezeiten wechseln, kehrt sich die Fließrichtung des Wassers bekanntermaßen um, sodass der Wasserspiegel in der einen Region steigt, während er anderswo sinkt. Ein ähnliches Phänomen tritt immer wieder auch an den Finanzmärkten auf. So wenden sich Anleger in unsicheren Zeiten defensiven Papieren wie Anleihen zu, während sie risikoreichere Assets wie Aktien abstoßen. In „guten Zeiten“ ist das Gegenteil der Fall: Steigende Erwartungen an die Unternehmensgewinne beflügeln die Nachfrage nach Aktien, während Anleihen angesichts steigender Zinsen abverkauft werden. In der Folge bewegen sich die Preise von risikoreichen und defensiven Anlagen häufig in entgegengesetzte Richtungen.
Eine Möglichkeit, die übliche historische Korrelation zwischen Anleihen und Aktien aufzuzeigen, ist ein Blick auf die 6-Monats-Performance des S&P 500® und der Rendite für zweijährige US-Treasuries. Nachstehende Abbildung zeigt, dass die Entwicklung üblicherweise parallel verläuft. Dennoch sind Phasen, in denen Anleiherenditen und Aktienkurse auseinanderklaffen, nichts Ungewöhnliches. Das war beispielsweise zu Beginn der globalen Finanzkrise der Fall. Damals gingen die Anleiherenditen erheblich zurück, als die US-Notenbank begann, die Zinsen zu senken, während die Aktienkurse weiter zulegten. Üblicherweise sind solche Phasen jedoch relativ kurz – und die historischen Korrelationen schnell wieder intakt.
6-Monats-Entwicklung: S&P 500 und 2-jährige US-Renditen

Quelle: Bloomberg, Stand: 15. Mai 2022.
Das Ungewöhnliche an der diesjährigen Kursentwicklung ist, dass sowohl die Renditen von risikoreichen als auch defensiven Anlageklassen deutlich gesunken sind. Die Zinssätz für kurzfristige US-Staatsanleihen haben in den letzten sechs Monaten um mehr als 200 Basispunkte zugelegt – das schnellste Tempo seit 25 Jahren. Die Verluste an den Aktienmärkten waren zwar ebenfalls beträchtlich, doch relativ gesehen nicht ganz so extrem. Die Verluste im S&P 500 von knapp 20 % gegenüber dem Höchststand sind längst nicht rekordverdächtig und weit entfernt von den Rückgängen von 35 bis 60 % während der globalen Finanzkrise oder unmittelbar nach Ausbruch der Coronapandemie. Recht ungewöhnlich ist allerdings, dass die Verluste an den Anleihe- und Aktienmärkten gleichzeitig stattfanden. So war der April 2022 erst der vierte Monat in fast 50 Jahren, in dem Aktien und Anleihen deutlich fielen.1
Was also hat dazu geführt, dass die „Flut, die alle Boote hebt“, so plötzlich zurückgegangen ist? Wir sehen den Hauptgrund dafür darin, dass die zu Beginn der Pandemie geschnürten Notfallpakete ausgelaufen sind. Denn die Zinssenkungen und Asset-Kaufprogramme der Zentralbanken wurden nicht nur beendet, sondern rückgängig gemacht, und auch die beträchtlichen fiskalpolitischen Stützungsmaßnahmen laufen aus. Die Rückführung dieser Maßnahmen wurde dadurch beschleunigt, dass sich die Arbeitsmärkte viel schneller erholt haben als in früheren Rezessionen. Dies wiederum hat zur Folge, dass die erhöhte und unerwartet hartnäckige Inflation zur größten Sorge geworden ist. Das zusätzliche Geld, das mit billigen Krediten und den Wertpapierkäufen der Zentralbanken in das System geführt wurde, wird also nach und nach abgezogen: die Flut geht zurück. Und ebenso wie damals, als die Flut gestiegen ist, wirkt sich das auf die Preise vieler Anlageklassen gleichzeitig aus.
Konsequenzen für Anleger
Eine Assetallokation, die auf historischen Korrelationen zwischen risikoreichen und defensiven Vermögenswerten beruht, hat – kaum überraschend – zuletzt schlecht abgeschnitten, mit hohen Verlusten bei Portfoliokonstruktionen, die auf der Risikoparität basieren, insbesondere die 60/40-Aufteilung zwischen Aktien und Anleihen. Es mag wenig überraschen, dass die Anleger solchen Themen weniger Aufmerksamkeit schenken, wenn positive Korrelationen zwischen risikoreichen und defensiven Vermögenswerten recht gute Renditen abwerfen, als wenn die Preise - wie zuletzt - nach unten gehen.
Festzinsstrategien bilden hier keine Ausnahme, wobei die traditionellen benchmark-orientierten Fonds nicht gut abschneiden. Die als Benchmark dienenden Anleihenindizes verzeichneten hohe Rückgänge, die Anleger sonst nur bei einzelnen Positionen erleben. Dies war umso schmerzhafter, als gleichzeitig auch die Aktienmärkte deutlich nachgaben.
Die jüngsten Rückgänge der Anleihenindizes sind unter anderem darauf zurückzuführen, dass ihre Zusammensetzung ausschließlich auf der Menge der verfügbaren Anleihen beruht. In anderen Worten werden Faktoren wie Effizienz oder Kapitalerhalt dabei nicht berücksichtigt. Mit Blick auf das Ausmaß, in dem die Gesamtduration am Anleihemarkt in den letzten Jahren gestiegen ist, halten wir das für einen wichtigen Aspekt. Definitionsgemäß ist die Zinssensitivität von Anleihen mit längerer Duration erheblich erhöht, was vor dem Hintergrund des unausweichlichen Zinserhöhungszyklus, der gerade im Gange ist, eine wesentliche Rolle spielt. Denn wir halten es für äußerst schwierig, durch eine aktive Entscheidungsfindung im Rahmen von benchmarkgebundenen Anleihestrategien die starken, zinsbedingten Rückgänge, die der Markt zuletzt erlitten hat, auszugleichen.
Anstatt die mit den Anleihenindizes verbundenen erhöhten Durationsrisiken hinzunehmen, sollten Anleger unseres Erachtens das Universum erweitern und Wertpapiere in Betracht ziehen, die auch im aktuellen Umfeld die Eigenschaften aufweisen, die sie bei ihrer Anleihenallokation anstreben. In zunehmendem Maße bedeutet dies, Unternehmensanleihen gegenüber Staatsanleihen zu bevorzugen. Dabei gilt zu beachten, dass Investment-Grade-Unternehmensanleihen zwar etwas höhere Renditen als Staatsanleihen abwerfen, doch immer noch sehr empfindlich auf das Zinsumfeld reagieren, was an den Verlusten im Investment-Grade-Segment des Marktes zu Beginn des Jahres deutlich wird. Allerdings können Investmentmanager Maßnahmen ergreifen, um Zinsrisiken bei Unternehmensanleihen abzusichern und so das Engagement in der Kreditrisikoprämie dieser Wertpapiere maximieren, die seit Beginn des Jahres 2022 gestiegen ist.
In diesem Zusammenhang unterstreicht das turbulente Anlageumfeld dieses Jahres, wie wichtig es ist, sich auf die absolute Rendite zu konzentrieren – nicht auf die relative Rendite. Anleger können die Vorteile, die sie von ihrer Anleihenallokation erwarten, maximieren und die negativen Effekte der erheblich gestiegenen Durationsrisiken abmildern, indem sie die akuten Risiken in den Anleihenindizes erkennen und entsprechend umschichten sollten.
Fazit
„Erst wenn die Flut zurückgeht, sieht man, wer nackt geschwommen ist“. Das berühmte Zitat von Warren Buffet war wohl noch nie so treffend wie heute. Die Turbulenzen des Jahres 2022 haben vor Augen geführt, welche Anlagestrategien sich zu sehr auf historische Korrelationen verlassen haben oder ausschließlich auf der Maximierung des Engagements in den renditestärksten - und risikoreichsten - Wertpapieren basieren. Während sich einige Verluste für die meisten Anleihenstrategien als unvermeidlich erwiesen haben, werden wir im Jahr 2022 daran erinnert, dass „eine starke Defensive die beste Offensive“ ist, wobei „Defensive“ in diesem Fall bedeutet, wichtige Maßnahmen zu ergreifen, um der Zinsflut, die über die aggregierten Benchmarks rollt, zu entkommen.
Abschließend möchte ich daran erinnern, dass die Herausforderungen, vor denen wir in diesem Jahr stehen, auch Chancen für die Zukunft mit sich bringen. Steigende Zinsen sind nicht unbedingt eine schlechte Entwicklung. Letztlich klagen wir doch alle schon seit mehr als zehn Jahren über erstaunlich niedrige Anleiherenditen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist wichtig, wie schnell die Renditen steigen. Sofern kurzfristige Überraschungen ausbleiben, haben die Anleger die Möglichkeit, fällig werdende Wertpapiere zu Renditen zu reinvestieren, die höher sind, als es noch vor wenigen Wochen oder Monaten der Fall war. Diese Strategie ist umso relevanter für Ansätze, die auf relativ kurzfristige Investments ausgerichtet sind und die hochliquide Positionen verkaufen und in längerfristige, höher verzinsliche Wertpapiere ähnlicher Qualität umschichten können. Wenn sich die Inflation als hartnäckiger erweist als erwartet, die Leitzinsen jedoch unverändert bleiben, dürften Strategien mit kürzerer Laufzeit und/oder Strategien, die die Zinssensitivität aktiv senken, weniger von steigenden Zinsen betroffen sein als solche mit längeren Durationsprofilen.
Die höheren Renditen, die der Markt jetzt wieder bietet, bedeuten auch höhere Kuponerträge als noch vor einigen Monaten und können bei weiteren Marktschwächen als Puffer dienen. Die potenzielle Rückkehr der üblichen negativen Korrelation zwischen Zins- und Risikoassets kann dazu führen, dass die Allokation in Festzinspapiere wichtiger wird als in den vergangenen Jahren. Wir gehen davon aus, dass die negative Korrelation zurückkehren wird, sobald der Höhepunkt der Inflation überschritten ist und die aggressive Haltung der Zentralbanken nachlässt. Man könnte sogar sagen, dass wir bereits an diesem Punkt angelangt sind. Unabhängig davon aber wird es für Investoren wichtig sein, zu lernen, auch in flacheren Gewässern zurechtzukommen – und vor allem auf einen plötzlichen Wechsel der Gezeiten vorbereitet zu sein.
1 Quelle: Bloomberg, Stand: 31.05.2022. Der S&P 500 fällt um mehr als 5 % und US-Staatsanleihen um mehr als 2 %.
Festverzinsliche Wertpapiere unterliegen dem Zins-, Inflations-, Kredit- und Ausfallrisiko. Der Anleihenmarkt ist volatil. Wenn die Zinsen steigen, fallen die Anleihepreise normalerweise und umgekehrt. Die Rückzahlung des Kapitals ist nicht garantiert und die Preise können fallen, wenn ein Emittent seine Zahlungen nicht pünktlich leistet und sich seine Bonität verschlechtert.
Hochzins- oder Ramschanleihen bergen ein höheres Ausfall- und Volatilitätsrisiko und können plötzlichen und kräftigen Kursschwankungen unterliegen.
Beteiligungspapiere unterliegen Risiken, einschließlich des Marktrisikos. Die Renditen schwanken in Abhängigkeit von Emittenten sowie von politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen.
Eine Diversifizierung garantiert weder das Erzielen von Gewinnen noch eliminiert es das Risiko von Anlageverlusten.
Duration misst die Preissensitivität einer Anleihe für Zinsänderungen. Je länger die Duration einer Anleihe, desto höher die Sensitivität für Zinsänderungen und umgekehrt.
Die Korrelation misst den Grad, in dem sich zwei Variablen relativ zueinander bewegen. Ein Wert von 1,0 bedeutet, dass sie sich parallel bewegen, -1,0 bedeutet, dass sie sich in entgegengesetzte Richtungen bewegen, und 0,0 bedeutet, dass keine Beziehung besteht.
Ein Basispunkt (Bp.) entspricht einem Hundertstel Prozent. 1 Bp. = 0,01 %, 100 Bp. = 1 %.
DerS&P 500® Index spiegelt die Performance der US Large-cap-Aktien wider und entspricht der Performance des US-Aktienmarktes allgemein.