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Die invertierte Renditekurve: Anlagechance am Anleihemarkt im Jahr 2023?

In ihrem Ausblick für 2023 erörtern die Portfoliomanager Seth Meyer und John Lloyd die Auswirkungen, die eine invertierte Renditekurve in der Vergangenheit auf die Performance von Anleihen im Vergleich zu Aktien hatte.

Seth Meyer, CFA

Seth Meyer, CFA

Leiter Fixed Income Strategie | Portfoliomanager



8. Dezember 2022
7 Minuten Lesezeit

Zentrale Erkenntnisse:

  • Jede der letzten acht Rezessionen in den USA wurde durch eine Inversion des Renditespreads zwischen 10-jährigen und 3-monatigen Treasuries angekündigt. Da sich die Renditekurve 2022 erneut umgekehrt hat, sollten die Anleger das Risiko einer Rezession im Jahr 2023 abwägen.
  • In der Vergangenheit haben sich Anleihen mit Investment-Grade-Rating nach dem Höchststand einer Inversion der Renditekurve jeweils besser entwickelt als Aktien, bis eine Rezession folgte und der Aktienmarkt seinen Tiefpunkt erreichte.
  • Unserer Ansicht spricht das derzeitige Ausmaß der Inversion für eine taktische Übergewichtung von Investment-Grade-Anleihen des Kernsegments.

1986 veröffentlichte Professor Campbell Harvey von der Duke University eine Dissertation, in der er Argumente für einen Zusammenhang zwischen einer Inversion der Renditekurve1 und Rezessionen anführte. Jeder der vier von ihm untersuchten Rezessionen2 ging eine Inversion der Differenz zwischen den Renditen 10-jähriger und 3-monatiger US-Treasuries voraus. Seit der Veröffentlichung von Harveys Dissertation verzeichnete die US-Wirtschaft vier weitere Rezessionen3, die ebenfalls alle durch eine Inversion des Renditespreads zwischen 10-jährigen und 3-monatigen Treasuries angekündigt wurden.

Für viele Anleger ist eine invertierte Renditekurve inzwischen das wichtigste Warnsignal für einen bevorstehenden Wirtschaftsabschwung. Nach Ansicht von Professor Harvey verursacht eine Inversion der Renditekurve nicht zwangsläufig eine Rezession, sondern ist vielmehr ein Stimmungsindikator im Hinblick auf die künftige Entwicklung der Wirtschaft. Da sich die Anleger Sorgen um den Konjunkturausblick machen, kaufen sie seiner Meinung nach verstärkt als sicher geltende Anlagen wie 10-jährige US-Staatsanleihen. Bei einer besonders negativen Stimmung kann der Kaufdruck auf 10-jährige Treasuries derart stark werden, dass ihre Renditen unter das Renditeniveau 3-monatiger Treasuries sinken, was eine invertierte Renditekurve zur Folge hat. Abbildung 1 zeigt die letzten vier US-Rezessionen, die ihnen vorausgehende Inversion der Renditekurve sowie die derzeitige Inversion.

Abbildung 1: Die Inversion des Renditespreads zwischen 10-jährigen und 3-monatigen Treasuries war bisher ein zuverlässiger Indikator für US-Rezessionen

Quelle: Bloomberg, Stand 30. November 2022.

 

Jede der letzten acht Rezessionen in den USA wurde zwar durch eine Inversion des Renditespreads zwischen 10-jährigen und 3-monatigen Treasuries angekündigt, es gibt aber keine Garantie dafür, dass die derzeitige Inversion ebenfalls eine Rezession zur Folge haben wird. Dennoch kann es für Anleger nützlich sein, einen Blick auf die historische Beziehung zwischen Inversionen der Renditekurve, Rezessionen und der Performance der Finanzmärkte zu werfen, wenn sie überlegen, wie sie ihre Portfolios positionieren sollten. Das Verständnis der Grenzen dieses Indikators kann Investoren zudem helfen, die davon ausgehenden Signale mit dem richtigen Maß an Vertrauen zu beurteilen.

Wie Abbildung 2 zeigt, belief sich bei den letzten vier Wirtschaftsabschwüngen die Zeitspanne zwischen dem Höchststand der Inversion der Renditekurve und dem Beginn der Rezession auf durchschnittlich acht Monate. In allen Fällen erreichte zudem der Aktienmarkt seinen Tiefstand erst Monate nach dem offiziellen Beginn der Rezession. (Diesen Punkt sollten Anleger unbedingt beachten, wenn sie darüber nachdenken, ob die Aktienmärkte im aktuellen Zyklus bereits die Talsohle durchschritten haben.) Insgesamt lief die Entwicklung in der Vergangenheit wie folgt ab: Inversion, gefolgt von einer Rezession, gefolgt vom Tiefstand der Aktienmärkte.

Abbildung 2: Historische Beziehung zwischen der Inversion der US-Renditekurve, Rezessionen und Tiefständen des Aktienmarkts

In der Vergangenheit erreichte der US-Aktienmarkt seinen Tiefstand erst Monate nach Beginn einer Rezession.

  Rezession Anfang der 1990er-Jahre Dotcom-Blase im Jahr 2000 Globale Finanzkrise Covid-Pandemie 2022 Durchschnitt
Monat der maximalen Inversion Juni 1989 Dez. 2000 März 2007 Aug. 2019 Nov. 2022*
Höchststand der Inversion -0,35% -0,86% -0,59% -0,48% -0,71%* -0,57%
Zahl der Monate zwischen dem Höchststand der Inversion und dem offiziellen Beginn der Rezession 13 3 9 6 ? 8
Zahl der Monate zwischen dem Höchststand der Inversion und dem Tiefstand des Aktienmarkts 16 22 24 7 ? 17

Quelle: Bloomberg, Janus Henderson Investors, Stand: 30. November 2022. * Der angegebene Höchststand der Inversion im aktuellen Zyklus bezieht sich auf den 30. November 2022; wann und auf welchem Niveau die Inversion ihren Höhepunkt erreicht, wird jedoch erst nach Ende des Zyklus bekannt sein. Der angegebenen Tiefstand des Aktienmarktes basiert auf dem maximalen Rückgang des S&P 500 Index während des Zyklus.

 

Eine Inversion der Renditekurve hat zwar in der Vergangenheit die darauffolgenden Ereignisse angekündigt, ebenso wie deren Abfolge. Doch dieser Indikator eignete sich nur begrenzt dazu, andere Variablen vorherzusagen, etwa den Höchststand der Inversion, den Beginn und die Dauer einer Rezession sowie das Ausmaß und die Dauer der Kursrückgänge an den Aktienmärkten. Darin liegt die Herausforderung für die Anleger: Wie lange es dauert, bis die einzelnen Zyklusphasen abgelaufen sind, ist nicht vorhersehbar. Daher sollten Investoren bei ihren Annahmen hinsichtlich des zeitlichen Ablaufs der erwarteten Ereignisse vorsichtig sein.

Die Kurve ist wieder invertiert – wie geht es nun weiter?

Die Renditekurve für 10-jährige und 3-monatige Treasuries kehrte sich Ende Oktober 2022 erstmals seit 2019 wieder um, und bis November nahm die Inversion weiter zu. Angesichts dieser Entwicklung rechnen die Anleger mit der Möglichkeit einer Rezession und fragen sich, wie sie ihre Portfolios zu Beginn des Jahres 2023 positionieren sollten. Unserer Ansicht nach diente die Inversion der Renditekurve in der Vergangenheit als Signal, Anleihen gegenüber Aktien zu bevorzugen, bis der Aktienmarkt den Tiefpunkt erreicht hat (siehe Abbildung 3).

Abbildung 3: Renditen zwischen dem Zeitpunkt der maximalen Inversion und dem Tiefstand des US-Aktienmarkts

In der Vergangenheit haben sich Anleihen nach dem Höchststand einer Inversion besser entwickelt als Aktien.

Quelle: Bloomberg, Janus Henderson Investors, Stand: 30. November 2022. Die betrachteten Performancezeiträume reichen jeweils vom Höchststand der Inversion der Renditekurve für 10-jährige und 3-monatige US-Treasuries bis zum Tiefstand des Aktienmarkts. Dabei wurden folgende Performancezeiträume einbezogen: Rezession Anfang der 1990er-Jahre (Juni 1989 bis Oktober 1990), Dotcom-Blase im Jahr 2000 (Dezember 2000 bis Oktober 2002), globale Finanzkrise (März 2007 bis März 2009) und Covid-Pandemie (August 2019 bis März 2020) . Die Performance des Aktienmarkts basiert auf der Entwicklung des S&P 500 Index, die Performance des Anleihemarkts auf der Entwicklung des Bloomberg US Aggregate Bond Index. Die Wertentwicklung in der Vergangenheit ist keine Garantie für zukünftige Ergebnisse.

 

Da die Renditekurve derzeit stark invertiert ist, halten wir es für möglich, dass sich Investment-Grade-Anleihen des Kernsegments im weiteren Verlauf des Konjunkturzyklus besser entwickeln als Aktien. Timing-Entscheidungen erfordern zwar besondere Umsicht, doch unseres Erachtens sollten Anleger auf die Anhaltspunkte für den aktuellen Zeitpunkt des Zyklus achten und beginnen, ihre Portfolios entsprechend zu positionieren. Wir betrachten die derzeit starke Inversion als Anzeichen dafür, dass die nächste Zyklusphase beginnt, in der Anleihen in der Regel eine Outperformance erzielen. Daher denken wir, dass Anleger eine taktische Übergewichtung von Investment-Grade-Anleihen des Kernsegments in ihren Portfolios in Betracht ziehen sollten.

Neben der Umschichtung in Anleihen sollten Investoren auch darauf achten, wie sie sich innerhalb ihrer Anleiheallokation positionieren. Kurz gesagt: Wir bevorzugen derzeit erstklassigen Investment-Grade-Anleihen. Darüber hinaus ziehen wir verbriefte Marktsegmente – insbesondere Agency Mortgage-Backed Securities (MBS), Commercial Mortgage-Backed Securities (CMBS), Asset-Backed Securities (ABS) und Collateralized Loan Obligations (CLOs) – gegenüber Unternehmensanleihen vor, da sie in der Regel bessere durchschnittliche Kreditratings aufweisen.

Zudem werden verbriefte Marktsegmente zu Spreads gehandelt, in denen unserer Meinung nach eine Rezession bereits eingepreist ist, während die Spreads von Unternehmensanleihen (sowohl Investment-Grade- als auch Hochzinsanleihen) immer noch nahe ihren Durchschnittswerten notieren und somit nur eine geringe Wahrscheinlichkeit für eine Rezession oder lediglich eine flache Rezession einpreisen. Sollte die US-Wirtschaft im Jahr 2023 in eine Rezession eintreten, dürften sich die Spreads von Unternehmensanleihen ausweiten, um die Risiken zu berücksichtigen, die verbriefte Vermögenswerte bereits eingepreist haben. Somit bietet sich die Chance auf eine relative Outperformance der verbrieften Marktsegmente.

1 Die langfristigen Zinsen sind in der Regel höher als die kurzfristigen Zinsen. In seltenen Fällen kehrt sich dieses Verhältnis um, sodass die kurzfristigen Zinsen die langfristigen übersteigen,was zu einer umgekehrten Renditekurve führt.
2 Die vier Rezessionen vor der Veröffentlichung von Harveys Dissertation wurden 1969–1970, 1973–1975, 1979–1980 und 1981–1982 verzeichnet.
3 Die vier Rezessionen seit der Veröffentlichung von Harveys Dissertation ereigneten sich 1989–1991 (Rezession Anfang der 1990er-Jahre), 2001 (Dotcom-Blase im Jahr 2000), 2007–2009 (globale Finanzkrise) und 2020 (Covid-Pandemie).

Der Bloomberg U.S. Aggregate Bond Indexist ein breit angelegter Maßstab für den Markt für festverzinsliche steuerpflichtige Anleihen mit Investment-Grade-Rating, die auf US-Dollar lauten.

Kreditspread bezeichnet die Renditedifferenz zwischen Wertpapieren mit ähnlicher Restlaufzeit, aber unterschiedlicher Bonität. Eine Spread-Weitung deutet im Allgemeinen auf eine Verschlechterung der Bonität von Emittenten hin, eine Verengung dagegen auf eine Verbesserung der Bonität.

Investment-Grade-Anleihen sind Anleihen, die in der Regel von Regierungen oder Unternehmen begeben werden, deren Zahlungsausfallrisiko als relativ gering gilt. Die höhere Bonität dieser Emittenten spiegelt sich in den höheren Ratings im Vergleich zu Anleihen wider, denen ein höheres Ausfallrisiko zugeschrieben wird, wie z. B. Hochzinsanleihen.

DerS&P 500® Index spiegelt die Performance der US Large-cap-Aktien wider und entspricht der Performance des US-Aktienmarktes allgemein.

Eine Renditekurve (Zinskurve) ist ein Diagramm, das die Renditen von Anleihen ähnlicher Qualität im Verhältnis zu ihren Laufzeiten darstellt. Bei einer normalen/nach oben geneigten Renditekurve sind die Renditen von Anleihen mit längeren Laufzeiten höher als die Renditen kurzfristigerer Anleihen. Bei einer invertierten Renditekurve ist das Gegenteil der Fall.

WICHTIGE INFORMATIONEN

Eine Diversifizierung garantiert weder das Erzielen von Gewinnen noch eliminiert es das Risiko von Anlageverlusten.

Beteiligungspapiere unterliegen Risiken, einschließlich des Marktrisikos. Die Renditen schwanken in Abhängigkeit von Emittenten sowie von politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen.

Festverzinsliche Wertpapiere unterliegen dem Zins-, Inflations-, Kredit- und Ausfallrisiko. Der Anleihenmarkt ist volatil. Wenn die Zinsen steigen, fallen die Anleihepreise normalerweise und umgekehrt. Die Rückzahlung des Kapitals ist nicht garantiert und die Preise können fallen, wenn ein Emittent seine Zahlungen nicht pünktlich leistet und sich seine Bonität verschlechtert.

Hochzins- oder Ramschanleihen bergen ein höheres Ausfall- und Volatilitätsrisiko und können plötzlichen und kräftigen Kursschwankungen unterliegen.

Verbriefte Produkte wie hypotheken- und forderungsbesicherte Wertpapiere reagieren empfindlicher auf Zinsänderungen, unterliegen dem Verlängerungs- und Vorauszahlungsrisiko und einem höheren Kredit-, Bewertungs- und Liquiditätsrisiko als andere Anleihen.

Die vorstehenden Einschätzungen sind die des Autors zum Zeitpunkt der Veröffentlichung und können von den Ansichten anderer Personen/Teams bei Janus Henderson Investors abweichen. Die Bezugnahme auf einzelne Wertpapiere stellen keine Empfehlung zum Kauf, Verkauf oder Halten eines Wertpapiers, einer Anlagestrategie oder eines Marktsektors dar und sollten nicht als gewinnbringend angesehen werden. Janus Henderson Investors, die mit ihr verbundenen Berater oder ihre Mitarbeiter haben möglicherweise eine Position in den genannten Wertpapieren.

 

Die Wertentwicklung in der Vergangenheit ist kein zuverlässiger Indikator für die künftige Wertentwicklung. Alle Performance-Angaben beinhalten Erträge und Kapitalgewinne bzw. -verluste, aber keine wiederkehrenden Gebühren oder sonstigen Ausgaben des Fonds.

 

Der Wert einer Anlage und die Einkünfte aus ihr können steigen oder fallen. Es kann daher sein, dass Sie nicht die gesamte investierte Summe zurückerhalten.

 

Die Informationen in diesem Artikel stellen keine Anlageberatung dar.

 

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