Wie Anleger mit dem Carry Ruhe bewahren können

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In den letzten Monaten haben Volatilität und Marktrauschen an den Finanzmärkten enorm zugenommen. Grund dafür sind geopolitische Spannungen und massiv gestiegene Inflationserwartungen, die das Umfeld in allen Anlageklassen deutlich eingetrübt haben – auch an den Rohstoffmärkten. In diesem Beitrag befassen wir uns mit einem wertvollen Signal, das die Anleger an den Rohstoffmärkten identifizieren können, um in diesen unsicheren Zeiten etwas Licht ins Dunkel zu bringen.
Zentrale Erkenntnisse:
- Die Volatilität an den Rohstoffmärkten hat zugenommen. Grund dafür sind eine ganze Reihe an Finanz- und Angebotsschocks, darunter unzureichende Investitionen in die Produktion wichtiger Rohstoffe, die Auswirkungen der ESG-Beschränkungen auf die Erschließung neuer Lagerstätten, geopolitische Spannungen und die Entstehung einer hartnäckigen Inflation.
- An den Rohstoffmärkten kommt es in solchen Phasen vor allem auf klare Signale an, die durch Fundamentaldaten untermauert sind.
- Wissenschaftliche Studien bestätigen, dass der Carry als Indikator dafür dienen kann, wie Kapital auf verschiedene Anlageklassen, einschließlich der Rohstoffmärkte, aufgeteilt werden sollte.
- Für die Rohstoffmärkte liefert der Carry ein nützliches Signal, da er sowohl von der Basis (der Differenz zwischen dem Kassapreis eines Rohstoffs und dem Preis des entsprechenden Futures) als auch vom Lagerbestand abhängt.
"Um das Signal vom Rauschen unterscheiden zu können, sind oft Wissenschaft und Selbsterkenntnis nötig: die Gelassenheit, die Dinge hinzunehmen, die wir nicht vorhersagen können, der Mut, Dinge vorherzusagen, die sich vorhersagen lassen, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden." Nate Silver, Die Berechnung der Zukunft: Warum die meisten Prognosen falsch sind und manche trotzdem zutreffen
Die Finanzmärkte durchlaufen derzeit eine hoch volatile Phase. Grund dafür ist eine ganze Reihe an Faktoren, die Sorgen und Unsicherheit auslösen, darunter der militärische Konflikt in der Ukraine, der Übergang von einer vorübergehenden zu einer länger anhaltenden Inflation und der Angebotsschock bei vielen Rohstoffen, der kurzfristig ebenfalls auf geopolitische Spannungen zurückzuführen ist, längerfristig aber auch auf die zunehmenden ESG-Anforderungen (Umwelt, Soziales und Unternehmensführung), die sich auf die betrieblichen Abläufe und unternehmerischen Entscheidungen auswirken.
Wie können Anleger in diesem Umfeld, das in hohem Maße von Marktrauschen und Unsicherheit geprägt ist, an den Rohstoffmärkten investieren, ohne sich von Emotionen und Marktrauschen irritieren zu lassen, sondern indem sie sich auf eine regelbasierte, auf Fundamentaldaten beruhende Methodik stützen?
Rohstoff-Carry
Der Fokus auf den Rohstoff-Carry[1] ist eine von mehreren Strategien, um das Marktrauschen zu reduzieren. Denn der Carry liefert einen recht guten Anhaltspunkt dafür, ob bestimmte Rohstoffe auf Basis einer fundamentalen Einschätzung eine attraktive Anlagechance darstellen oder nicht. Der Carry ist sowohl anlageklassenübergreifend als auch auf Ebene der einzelnen Rohstoffe gut dokumentiert. In einem 2017 im Journal of Financial Economics veröffentlichten Artikel vonKoijen et al[2] wurde das Konzept des Carry anlageklassenübergreifend untersucht. Dabei gelangten die Autoren unter anderem zu folgender Schlussfolgerung:
"… der Carry prognostiziert die Renditen einer Vielzahl von Anlageklassen, darunter globale Aktien, globale Anleihen, Rohstoffe, US-Treasuries, Unternehmensanleihen und Optionen, sowohl segmentübergreifend als auch über verschiedene Zeitreihen."
Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass Longpositionen in Vermögenswerten mit relativ hohem Carry und Shortpositionen in Vermögenswerten mit relativ niedrigem Carry in jeder Anlageklasse "signifikante Überrenditen" erzielten.
Practitioner observation on commodity carry
Im Zeitverlauf hat der Rohstoff-Carry im Vergleich zu den Preisänderungen der zugrunde liegenden Vermögenswerte relativ stabile Überrenditen erwirtschaftet – was allerdings keine Garantie dafür ist, dass dies auch künftig der Fall sein wird. Dies lässt sich anhand eines relativ einfachen Modells beobachten, das den Carry als Kaufsignal verwendet.
In diesem Modell stützen wir uns auf die einjährigen Rohstoffkurven von Bloomberg für 26 Rohstoffe (bzw. die längsten verfügbaren Zeitreihen) seit dem 31. Oktober 2005 (dem Beginn der Verfügbarkeit dieser Daten) bis zum 28. Februar 2022. Im Vergleich zu den Preisbewegungen des Bloomberg Commodity (BCOM) Index in diesem Zeitraum ließ eine gleichgewichtete Allokation in die zehn Rohstoffe mit der höchsten Rollrendite eine höhere monatliche Durchschnittsrendite erwarten (siehe Abbildung 1).
Abbildung 1: Der Carry lieferte ein klares Signal
Top-10 nach Carry-Signal | BCOM Index | Unterschied | |
---|---|---|---|
Durchschnittliche Monatsrendite | 0,72 % | -0,04 % | +0,76 % |
Quelle: Bloomberg, BCOM Index, 31. Oktober 2005 bis 28. Februar 2022. Die Wertentwicklung in der Vergangenheit ist kein Hinweis auf die zukünftigen Renditen.
Anmerkung: Die hier dargestellte, durch Backtesting ermittelte fiktive Wertentwicklung dient nur der Veranschaulichung und stellt nicht die tatsächliche Wertentwicklung eines Kundenkontos dar. Es wurden für die dargestellten Zeiträume keine Konten mit der angegebenen Portfoliozusammensetzung verwaltet, und es wird nicht zugesichert, dass die fiktiven Renditen mit der tatsächlichen Wertentwicklung übereinstimmen würden.
Die angegebenen Renditen sind zwar hypothetisch, doch zeigen sie die potenzielle Möglichkeit, Carry sowohl in Long-only- als auch in Long-/Short-Strategien als Signal für Überrenditen zu nutzen – über Longpositionen in den Rohstoffen mit dem höchsten Carry und Shortpositionen in den Rohstoffen mit dem niedrigsten Carry.
Welches Carry weisen die einzelnen Rohstoffe derzeit auf?
Zu den zehn Rohstoffmärkten mit dem höchsten Rohstoff-Carry zählten Ende Februar 2022 die Energiemärkte sowie die Märkte für verschiedene Nutzpflanzen und Agrarrohstoff – ausnahmslos Märkte, die von den Angebotsschocks und dem Konflikt in der Ukraine direkt oder indirekt betroffen sind. Abbildung 2 zeigt die einjährige Rollrendite für diese Rohstoffe.
Abbildung 2: Energie und Nutzpflanzen bilden die Top 10
Markt | Rollrendite 1 Jahr |
---|---|
WTI-Rohöl | 17,42 % |
Erdgas | 23,08 % |
Rohöl der Sorte Brent | 15,14 % |
Gasöl | 15,75 % |
Heizöl | 13,23 % |
Bleifreies Benzin | 15,42 % |
Mais | 12,22 % |
Sojabohnen | 14,25 % |
Sojamehl | 14,95 % |
Baumwolle | 20,79 % |
Quelle: Bloomberg, Stand: 28. Februar 2022.
Interessanterweise zeigte das Modell keine Allokation in Edel- oder Industriemetallen an, darunter Nickel, dessen Preis im März massiv eingebrochen war, bevor der Handel für mehr als eine Woche ausgesetzt wurde.
Gold und Carry
Als finanzieller und dank hoher Lagerbestände reichlich verfügbarer Rohstoff weist Gold eine relativ stabile Terminkurve mit einem Contango auf, der die Lagerkosten des Edelmetalls widerspiegelt. Angesichts seiner beständigen, jedoch leicht negativen Rendite bietet sich Gold aus Carry-Perspektive in der Regel nicht für Longpositionen an. Unter bestimmten Marktbedingungen kann jedoch selbst die leicht negative Rendite von Gold im Vergleich zu anderen Rohstoffen attraktiv sein.
Bei Verwendung des oben beschriebenen Modells – das Positionen in den zehn Rohstoffen mit dem höchsten Carry hält – wird Gold in der Regel in Phasen gehalten, die von finanziellen Turbulenzen oder starken Marktverzerrungen an den breiteren Rohstoffmärkten geprägt sind (Abbildung 3).
Abbildung 3: Gold dient weiterhin als Fluchtwährung


Quelle: Bloomberg, 1. Oktober 2005 bis 1. September 2021. "Gold" bezieht sich in dieser Abbildung auf Phasen, in denen das Edelmetall zu den zehn Rohstoffen mit dem höchsten Carry gehörte. Die Wertentwicklung in der Vergangenheit ist kein Hinweis auf die zukünftigen Renditen.
Rohstoff-Carry als Komponente eines breiteren Alpha-Rohstoff-Portfolios
Wie frühere Studien und Carry-Basismodelle zeigen, kann der Rohstoff-Carry ein nützlicher Indikator dafür sein, welche Rohstoffe potenzielle Überrenditen generieren. Dennoch sollte der Carry nur als eine von mehreren Strategien verwendet werden, um gegenüber einem Rohstoffindex eine Outperformance zu erzielen. Andere Strategien wie Value, Momentum, Commodity Skew, um nur einige zu nennen, können für Anleger, die entweder eine Erweiterung des Betas von Rohstoffen oder eine eigenständige Alpha-Strategie suchen, potenzielle Alpha-Quellen bieten.
Fazit
Der Rohstoff-Carry ist eines von mehreren möglichen Instrumenten für den Aufbau eines Rohstoffportfolios mit dem Potenzial, mittel- bis langfristige Überrenditen zu erzielen. Auch wenn es nicht empfehlenswert ist, den Carry als eigenständige Strategie zu verwenden, liefert Carry als eine von mehreren Alphaquellen bei Rohstoffanlagen potenziell wertvolle Hinweise darauf, welche Rohstoffe basierend auf den Fundamentaldaten attraktive Anlagechancen bieten.
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Carry wird allgemein definiert als künftige Rendite, die sich aus dem Halten eines Vermögenswertes ergibt, ohne Berücksichtigung von Preisschwankungen. Der Rohstoff-Carry ist somit die positive oder negative Rendite, die mit einem Rohstoffengagement unabhängig von den Preisbewegungen des betreffenden Rohstoffs erzielt wird. Zur Bestimmung des Carry wird die Rendite einer Position in einem Futureskontrakt berechnet, die in den nächstfälligen Kontrakt umgeschichtet („gerollt“) wird. Befindet sich ein Rohstoff in Backwardation, d. h. liegt sein Terminkurs unter seinem Kassakurs, dann weist er einen positiven Carry auf. Im umgekehrten Fall – wenn der Kassakurs unter dem Kurs der Futureskontrakte notiert – handelt es sich um einen Contango.
[2] Koijen, R., Moskowitz, T., Pederson, L., Vrugt, E. 2018. Carry. Journal of Financial Economics 127 (2018) 197-225. https://econpapers.repec.org/article/eeejfinec/v_3a127_3ay_3a2018_3ai_3a2_3ap_3a197-225.htm
Die vorstehenden Einschätzungen sind die des Autors zum Zeitpunkt der Veröffentlichung und können von denen anderer Personen/Teams bei Janus Henderson Investors abweichen. Die Bezugnahme auf einzelne Wertpapiere, Fonds, Sektoren oder Indizes in diesem Artikel stellt weder ein Angebot oder eine Aufforderung zu deren Erwerb oder Verkauf dar, noch ist sie Teil eines solchen Angebots oder einer solchen Aufforderung.
Die Wertentwicklung in der Vergangenheit ist kein zuverlässiger Indikator für die künftige Wertentwicklung. Alle Performance-Angaben beinhalten Erträge und Kapitalgewinne bzw. -verluste, aber keine wiederkehrenden Gebühren oder sonstigen Ausgaben des Fonds.
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Die Informationen in diesem Artikel stellen keine Anlageberatung dar.
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