Investment-Ausblick 2022
ESG: Die Wege teilen sich
Investment-Ausblick 2022
ESG: Die Wege teilen sich
Paul LaCoursiere, Global Head of ESG Investments, stellt vier Themen vor, die seiner Meinung nach für die Entwicklung von Anlagen unter Berücksichtigung der Faktoren Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (Environmental, Social and Governance, ESG) im Jahr 2022 entscheidend sein werden.
ESG-Anlagen entwickeln sich in einem noch nie dagewesenen Tempo weiter, und wir sehen keinen Grund zu der Annahme, dass hier im kommenden Jahr eine Verlangsamung einsetzen wird.
In welche Richtung sich die Anlegernachfrage entwickeln wird (Abbildung 1), ist unseres Erachtens eindeutig. Als Vermögensverwalter, der sich dem Thema ESG verpflichtet hat, begrüßen wir diese zunehmende Dynamik. Wir sind allerdings auch der Meinung, dass es erhebliche Hindernisse gibt, die unsere Branche davon abhalten, die Ergebnisse zu erzielen, die sich viele von ESG-Überlegungen und den Kapitalmärkten versprechen. Die internationale Politik, regionale Erwägungen und die Präferenzen der Anleger werden die Entwicklung von ESG-Ansätzen sowie unserer Branche insgesamt beeinflussen.
Abbildung 1: Die Dynamik nimmt weiter zu
Die Nachfrage der Anleger nach nachhaltigen Fonds steigt weltweit, wobei in Europa– das als der fortschrittlichste Markt für ESG-Anlagen gilt – eine klare Präferenz für ein aktives Management zu beobachten ist.
Nachhaltige Fonds weltweit | Nachhaltige Fonds in Europa |

Quelle: Morningstar Direct Manager Research; Stand: September 2021. Zu den „nachhaltigen“ Fonds zählen Fonds mit ESG-Integration, Impact Fonds und Fonds des Nachhaltigkeitssektors.
Im Folgenden heben wir vier zentrale Bereiche hervor, die sich unserer Einschätzung nach im Jahr 2022 weiterentwickeln und letztlich die Zukunft von ESG-Anlagen prägen werden.
1. It‘s showtime – Erwartungen an die Vermögensverwaltung
Für sowohl Kunden als auch die Aufsichtsbehörden werden in Zukunft wahrscheinlich eher Taten als Worte im Vordergrund stehen. Attraktive Bilder und Erzählungen mögen einigen Vermögensverwaltern bis hierher geholfen haben, aber 2022 werden sie ihre Behauptungen durch Beweise und konkrete Maßnahmen untermauern müssen.“ Wir halten dies für eine positive Entwicklung.
Wir gehen außerdem davon aus, dass dies zu einer Zweiteilung des Marktes führen wird. Diejenigen Marktteilnehmer, die über eingebettete, strikte Prozesse verfügen, sollten sich zunehmend von jenen abheben, die bisher nur Fassaden vorweisen können. Wir gehen davon aus, dass sich immer mehr Beispiele von Vermögensverwaltern finden werden, die sich aus diesem Bereich zurückziehen, weil sie ihre Verpflichtungen nicht glaubhaft belegen können. Aber diejenigen, die das können, dürften bei den Anlegern immer beliebter werden.
Attraktive Bilder und Erzählungen mögen einigen Vermögensverwaltern bis hierher geholfen haben, aber 2022 werden sie ihre Behauptungen durch Beweise und konkrete Maßnahmen untermauern müssen.“
Nur die wenigsten können behaupten, sie hätten in diesem Bereich kein Verbesserungspotenzial mehr. Um echtes Engagement unter Beweis stellen zu können, werden Belege für konkrete Fortschritte sowie zusätzlichen Ressourcen, langfristiges Engagement und eine sinnvollen Debatte auf Anlage- und Unternehmensebene wichtig sein. Bei Janus Henderson haben wir bis 2021 erhebliche Fortschritte erzielt, sind uns aber auch bewusst, dass die Entwicklung in der gesamten Branche weiter beschleunigt werden muss, um viele ESG-Ziele zu erreichen.
Die Qualifikation eines Vermögensverwalters in diesem Bereich zu beurteilen, ist schwierig. Rating-Agenturen erstellen Berichte, aber die Ergebnisse und Empfehlungen unterscheiden sich je nach Bewertungskriterien erheblich. Da sich das Umfeld zudem kontinuierlich verändert, können die Berichte auch schnell veraltet sein. Anlegern ist daher zu raten, im Jahr 2022 ihre eigenen ESG- und nachhaltigkeitsbezogenen Werte und Ziele festlegen – und diese als Grundlage für die Beurteilung und Auswahl von Vermögensverwaltern nutzen, mit denen sie zusammenarbeiten möchten.
Die Art und Weise, wie Vermögensverwalter ihre ESG-Ansätze weiterentwickeln, wird bestimmen, welche Nachweise die Kunden erwarten sollten. Der historische Präzedenzfall – in vielen Fällen von Firmen geschaffen, die einen erheblichen Teil des Vermögens für ein verbundenes Unternehmen verwalten – bestand darin, ESG-Entscheidungen zentral zu treffen und dann einen Universalansatz für ESG-Integration und Nachhaltigkeit auf alle Produkte anzuwenden. Dies ist zwar intuitiv, berücksichtigt aber nicht die durchaus unterschiedlichen Präferenzen verschiedener Kunden in Bezug auf die Sensibilität für Nachhaltigkeitsthemen oder die Priorisierung von ESG-Zielen gegenüber finanziellen Interessen. Im Zuge der Reifung von Vorgehensweisen und Theorien und der Weiterentwicklung von ESG-Anlagen würde es uns nicht überraschen, wenn Individualisierung und maßgeschneiderte Lösungen für bestimmte Portfolios an Bedeutung gewinnen.
Bewertung der ESG-Qualifikationen eines Vermögensverwalters
- Spezialisierte ESG-Anlage- und Vertriebsteams?
- Eine ESG-Unternehmenserklärung und entsprechende Anlagegrundsätze?
- Klar formulierte ESG-bezogene Ziele und Prozesse für die Anlagestrategie?
- Erfahrungen und eine nachweisliche Erfolgsbilanz in Bezug auf Nachhaltigkeitsinitiativen und entsprechende Anlagen?
- Erkenntnisse zu ESG-Themen, die er bereitwillig teilt?
- Beteiligung auf Vorstandsebene und eine entsprechende Aufsicht über ESG-Initiativen?
Hat ein Vermögensverwalter:
- Spezialisierte ESG-Anlage- und Vertriebsteams?
- Eine ESG-Unternehmenserklärung und entsprechende Anlagegrundsätze?
- Klar formulierte ESG-bezogene Ziele und Prozesse für die Anlagestrategie?
- Erfahrungen und eine nachweisliche Erfolgsbilanz in Bezug auf Nachhaltigkeitsinitiativen und entsprechende Anlagen?
- Erkenntnisse zu ESG-Themen, die er bereitwillig teilt?
- Beteiligung auf Vorstandsebene und eine entsprechende Aufsicht über ESG-Initiativen?
2. Finanzielle Ergebnisse, Nachhaltigkeit oder beides? Das Dilemma auf der Vorstandsetage
Das Jahr 2021 hat einige sehr gegensätzliche Beispiele für die Auswirkungen geliefert, die eine ESG-Strategie auf Vorstandsebene haben kann. Bei Danone, einem führenden multinationalen Lebensmittel- und Getränkehersteller, wurde der Vorstandsvorsitzende Emmanuel Faber im März entlassen, weil er der Nachhaltigkeit hohe Priorität eingeräumt und aber dabei keine zufriedenstellenden Finanzergebnisse erzielt hatte. Faber, der sich sehr für Umweltfragen und eine nachhaltigere Geschäftsführung einsetzt, war unter Druck geraten, nachdem das Umsatz- und Margenwachstum in den letzten Jahren hinter dem einiger Konkurrenten zurückgeblieben war.1
Im Gegensatz dazu gewann eine kleine aktivistische Anlegerfirma bei der Hauptversammlung von ExxonMobil im Mai drei von zwölf Sitzen im Verwaltungsrat des Konzerns. 2 Grund dafür war die Feststellung der Aktivisten, dass Exxon keine angemessene Strategie für den Klimawandel entwickelt hatte – eine Einschätzung, die in der Folge von Anlegern mit erheblichen Beteiligungen am Unternehmen nachdrücklich unterstützt wurde.
Diese beiden Beispiele verdeutlichen das Dilemma, vor dem Unternehmen und Vermögensverwalter stehen. Werden wir im Jahr 2022 eine breitere Verschiebung in die eine oder andere Richtung erleben? Werden die Aktionäre von Fall zu Fall Druck ausüben? Wie sollten Anleger die Risiken einer ESG-freundlichen oder -feindlichen Haltung eines Unternehmens abwägen?
Die Situation könnte Vermögensverwalter zwingen, ihren Ansatz für den direkten Dialog mit Unternehmen zu überdenken. Einige Anleger möchten vielleicht, dass ihr Kapital zur Unterstützung der Nachhaltigkeitsinitiativen eines Unternehmens eingesetzt wird und nicht unbedingt nur zur Erzielung finanzieller Erträge. Sie hätten sich gefreut, wenn Faber bei Danone an der Spitze geblieben wäre. Bei anderen ist das vielleicht nicht der Fall. Für die Finanzbranche wirft dies eine interessante Frage auf: Sollten Vermögensverwalter versuchen, bei der Ausübung von Stimmrechtsvollmachten und dem direkten Dialog mit Unternehmen individuelle Präferenzen zu berücksichtigen, anstatt eine zentrale Politik oder einen universellen Ansatz zu verfolgen?
Einige Anleger möchten vielleicht, dass ihr Kapital zur Unterstützung der Nachhaltigkeitsinitiativen eines Unternehmens eingesetzt wird und nicht unbedingt nur zur Erzielung finanzieller Erträge. Bei anderen ist das aber vielleicht nicht der Fall.
Angesichts einer solchen Bandbreite von Ansätzen, die von den Eigentümern von Vermögenswerten bereits angewandt werden, müssen die Vorstände immer genauer kommunizieren, auf welche Themen sie sich konzentrieren und warum diese einen wesentlichen Einfluss auf das Unternehmen haben können. Die korrekte Identifizierung und Priorisierung dieser Themen ist komplex, insbesondere für Führungskräfte, die wenig Erfahrung im Umgang mit den Besonderheiten von ESG haben. Das Stern Center for Sustainable Business der New York University hat untersucht, wie es um die ESG-Kompetenz der Vorstandsmitglieder von Fortune-100-Unternehmen bestellt ist. Auf der Grundlage der im Jahr 2019 vorliegenden Biografien ergab die Studie, dass von 1.188 Vorständen 29 % über relevante ESG-Kenntnisse verfügten. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass ein Großteil der Erfahrungen in die Kategorie ,Soziales“ (21 %) fällt (vor allem in Bezug auf Fragen der Gesundheit und der Vielfalt), während weitaus weniger Erfahrungen in den Bereichen Umwelt (6 %) oder Governance (6 %) vorliegen (Abbildung 2). Diese Kompetenzlücke könnte zu weiteren Umwälzungen in den Vorstandsetagen führen, wenn ESG-bewusste Anleger höhere Erwartungen stellen. Oder wenn Vorstandsvorsitzende die Stimmung falsch einschätzen und der Meinung sind, dass ESG-Aspekte Vorrang vor finanziellen Erträgen haben.
Abbildung 2: Vorstandsmitglieder – Kompetenzlücke in Sachen ESG
Eine Analyse der Vorstandsmitglieder von Fortune-100-Unternehmen zeigt einen besorgniserregenden Mangel an Kompetenz in puncto ESG.
Soziales = 21% mit Erfahrung | Umwelt = 6% mit Erfahrung | Governance = 6% mit Erfahrung | |||
Kategorie | % mit relevanten Zugangsdaten | Kategorie | % mit relevanten Zugangsdaten | Kategorie | % mit relevanten Zugangsdaten |
Vielfalt am Arbeitsplatz | 5,00% | Energie | 1,20 % | Buchhaltung | 2,60% |
Gesundheit | 3,50% | Naturschutz/ Natur | 1,20 % | Regulierungsstelle | 1,00% |
Gesundheitliche Herausforderungen/ Interessenvertretung | 1,90% | Nachhaltiges Wirtschaften | 0,80 % | Cyber-/Telekommunikationssicherheit | 0,60% |
Soziale Verantwortung der Unternehmen | 1,50 % | Nachhaltige Entwicklung | 0,80 % | Risiko | 0,40 % |
Bürger-/Menschenrechte | 1,50 % | Umweltrecht | 0,50% | Ethik/Korruption/Unternehmensverantwortung | 0,30% |
Soziales = 21% mit Erfahrung | |
Kategorie | % mit relevanten Zugangsdaten |
Vielfalt am Arbeitsplatz | 5,00% |
Gesundheit | 3,50% |
Gesundheitliche Herausforderungen/ Interessenvertretung | 1,90% |
Soziale Verantwortung der Unternehmen | 1,50 % |
Bürger-/Menschenrechte | 1,50 % |
Umwelt = 6% mit Erfahrung | |
Kategorie | % mit relevanten Zugangsdaten |
Energie | 1,20 % |
Naturschutz/ Natur | 1,20 % |
Nachhaltiges Wirtschaften | 0,80 % |
Nachhaltige Entwicklung | 0,80 % |
Umweltrecht | 0,50% |
Governance = 6% mit Erfahrung | |
Kategorie | % mit relevanten Zugangsdaten |
Buchhaltung | 2,60% |
Regulierungsstelle | 1,00% |
Cyber-/Telekommunikationssicherheit | 0,60% |
Risiko | 0,40 % |
Ethik/Korruption/Unternehmensverantwortung | 0,30% |
Quelle: NYU Stern Center for Sustainable Business, Januar 2021
Dies wirft die grundsätzliche Frage auf, wie glaubwürdig die Corporate Governance als Mechanismus zur Lösung gesellschaftlicher Probleme wie dem Klimawandel ist. Wir sind der Meinung, dass das Ausmaß der Herausforderung eine koordinierte Antwort erfordert, die sowohl die Kapitalmärkte als auch die Politik einbezieht. Unserer Ansicht nach haben Politiker und Aufsichtsbehörden die Verantwortung, Veränderungen durchzusetzen und das Verhalten der Öffentlichkeit zu steuern. Die Kapitalmärkte, einschließlich der Vermögensverwalter, können dann ihre Rolle als Wegbereiter des Wandels wahrnehmen.
Wir werden also mit Interesse beobachten, ob sich 2022 eine weitere Kluft in der Einstellung der Vorstände zum Thema ESG auftut. Oder ob es zu einer Verschiebung hin zu einer allgemeinen Ansicht darüber kommt, ob ein Fokus auf ESG mit der finanziellen Leistung synergetisch ist oder lieber fallweise betrachtet werden sollte. Auch die Art und Weise, wie ein Unternehmen seine ESG-bezogenen Risiken bewertet, wird auf den Prüfstand kommen: Sollten sie unabhängig von den traditionellen finanziellen Kennzahlen oder als integraler Bestandteil sämtlicher Aspekte der Unternehmensführung betrachtet werden? Dies ist eine schwierige, aber äußerst wichtige Debatte, die in den Vorstandsetagen geführt werden muss.
3. Das Dilemma der Koordinierung – Regulierung und Kennzeichnung
Während ESG die Unternehmenslandschaft bereits grundlegend verändert und wir davon ausgehen, dass sich diese Entwicklung im kommenden Jahr fortsetzen wird, gibt es keinen offiziellen, weltweit anerkannten Rechnungslegungs- oder Regulierungsstandard für ESG- oder Nachhaltigkeitskennzahlen, den ein Anleger beobachten könnte. Anstatt dass sich ein schlüssiger Rahmen herausbildet, zeichnen sich zunehmend Gefahren ab, da die Vorschriften und Leitlinien auf den verschiedenen Märkten in unterschiedliche Richtungen führen.
Die Kategorisierung von ESG-Anlagestrategien beispielsweise wird immer schwieriger. Strategien oder Anlageverfahren, die auf einem Markt als nachhaltig gelten, können auf einem anderen Markt aufgrund unterschiedlicher Richtlinien vollkommen anders eingestuft werden. Diese Kennzeichnungen beginnen, miteinander zu konkurrieren, anstatt die erhoffte Konsistenz in den wichtigsten Anlageproduktkategorien innerhalb des ESG-Ökosystems zu fördern.
In der Übersetzung verloren gegangen
Die mit ESG verbundene Terminologie wird von Land zu Land unterschiedlich verwendet, was die Kennzeichnung und Zielsetzung erschweren kann.

Leidtragende dieser fehlenden Harmonisierung sind schließlich die Endanleger. Die erste Regel einer guten Kategorisierung und eines schlüssigen Konzepts für die Regulierung lautet, dass das Ergebnis klar und einfach zu verstehen sein muss. Derzeit ist es für einen globalen Vermögensverwalter schwierig, eine ESG-Anlagestrategie zu konzipieren und diese dann in sämtlichen Regionen bzw. Ländern einheitlich zu kennzeichnen und zu vermarkten.
Wir sind der Meinung, dass eine stärkere Standardisierung der Terminologie und besser koordinierte aufsichtsrechtliche Leitlinien im Jahr 2022 notwendig sein werden, um die positive Dynamik, die ESG-Anlagen haben können, aufrechtzuerhalten. Das optimale Ergebnis wäre die Entwicklung von weltweit akzeptierten Produktkategorien, die es den Endanlegern erleichtern, Strategien mit ESG-bezogenen Zielen zu verstehen und zu vergleichen.
4. Was könnte womöglich schiefgehen? – Offene Diskussionen sind wichtig
Vor jeder Ausschusssitzung, jedem Verkaufsgespräch oder jeder Verhandlung nehme ich mir Zeit, um darüber nachzudenken, wie die Situation aus dem Ruder laufen könnte. Entsprechend dieser Praxis nehme ich mir auch Zeit, um zu überlegen, wie die Entwicklung von ESG die Erwartungen womöglich enttäuschen könnte. Was mich an der jüngsten Entwicklung besonders beunruhigt, ist die Tatsache, dass es keine Diskussionen mehr gibt. Offene Debatten und die Berücksichtigung gegensätzlicher Standpunkte sind ein wichtiger Baustein des Fortschritts, und ich würde behaupten, dass dies im derzeitigen Entwicklungsstadium auch für ESG entscheidend ist.
Die der Nachhaltigkeit zugrunde liegende Wissenschaft vereint Forschungsergebnisse aus verschiedenen Bereichen in unterschiedlichen Entwicklungsstadien und wurde bereits 2007 in einem Leitartikel der National Academy of Sciences3 als ein Bereich beschrieben, der „durch die Probleme definiert wird, die er angeht, und nicht durch die Disziplinen, die er einbezieht“. Während sich die entsprechenden Disziplinen im Laufe der Zeit weiterentwickeln, ist wie in jedem Bereich, der mit sozialen Systemen zu tun hat, eine aktive Debatte erforderlich, um unbeabsichtigte Folgen zu minimieren und zu bewältigen. Unseres Erachtens muss sich in den kommenden Monaten unbedingt die Einsicht durchsetzen, dass Führungskräfte in Unternehmen und Analysten durchaus auch abweichende Meinungen äußern können – und sollten! –, ohne dabei Angst vor einem Reputationsrisiko haben zu müssen.
ESG-Reputationsrisiken
ESG-Themen werden in den Medien immer häufiger diskutiert, wodurch das Reputationsrisiko einer Fehlentscheidung steigt.

Bei einer näheren Betrachtung der Vermögensverwaltung muss man sich fragen, ob die Versprechungen und Erwartungen in einigen Bereichen womöglich zu weit gegangen sind, ob altruistische Bemühungen möglicherweise fehl am Platze sind und ob die Kunden aus treuhänderischer Sicht das richtige Maß an Service und Informationen erhalten. Dies kann so einfache Dinge betreffen wie die Gewährleistung eines gemeinsamen Verständnisses von Zeithorizonten. Wir sind davon überzeugt, dass die Integration von ESG-Aspekten auf lange Sicht zu einer überdurchschnittlichen Wertschöpfung führen wird – aber die Anleger müssen auf Höhen und Tiefen auf dem Weg dorthin gefasst sein.
Bei einem Treffen mit einer Unternehmensberatung, an dem ich kürzlich teilnahm, vertrat einer der Partner die Auffassung, dass eine strikte ESG-Integration in einen Anlageprozess eine eindeutige Win-Win-Win-Situation darstellt – mit der Begründung, dass dadurch „die Erde gerettet, gesellschaftliche Probleme gelöst und systematisch attraktive Anlagerenditen für die Kunden erzielt werden“. „Es sollten Stimmen laut werden, die sich gegen eklatante Übertreibungen wehren – ansonsten riskieren wir, dass ESG den Status eines theokratischen Dogmas ohne echte Substanz annimmt.“ Eine fundierte Gegenmeinung würde darauf verweisen, dass bestimmte Bereiche des Marktes bereits voll bewertet erscheinen und Korrekturen bevorstehen könnten, und dass sich die Anleger dieses Risikos bewusst sein sollten.
„Es sollten Stimmen laut werden, die sich gegen eklatante Übertreibungen wehren – ansonsten riskieren wir, dass ESG den Status eines theokratischen Dogmas ohne echte Substanz annimmt.“
Auf allen Ebenen - in privaten Gesprächen oder öffentlichen Foren - herrscht eine gewisse Nervosität, wenn es darum geht, Ansichten zu vertreten, die nicht nur die Vor- sondern auch die Nachteile von ESG-Aspekten berücksichtigen. Eine Analyse von Worst-Case-Szenarien und die anschließende Ausarbeitung von Plänen zur Schadensbegrenzung gehören jedoch zu einer guten Unternehmensführung. Wenn die dafür nötigen Diskussionen ausbleiben, weil die Beteiligten Gefahr laufen, als ESG-Gegner abgestempelt zu werden, bleiben eine gute Planung und ein effektives Notfallmanagement auf der Strecke. Glaubwürdigkeit und Realismus sind der Schlüssel, und ehrliche und offene Diskussionen sind unabdingbar.
Auf Research-Ebene müssen Analysten in der Lage sein, Empfehlungen auszusprechen, wenn sie der Meinung sind, dass die Priorisierung von Nachhaltigkeit mit zu hohen Kosten für ein Unternehmen verbunden ist und die Rendite der Anleger beeinträchtigen könnte. Derzeit ist die Dynamik jedoch so stark in eine Richtung gerichtet, dass manche Organisationen nervös werden, wenn es darum geht, die kurzfristigen Nachteile der Einführung von Nachhaltigkeitspraktiken anzusprechen.
Das Markenrisiko, als „ESG-feindlich“ angesehen zu werden, ist stets präsent und könnte daher wertvolle Gegenargumente im Keim ersticken. Es ist wichtig, bisweilen auch Advocatus Diaboli zu spielen, und die Geschichte zeigt, wie gefährlich es sein kann, wenn einseitige Ansichten unangefochten im Raum stehen gelassen werden. Wir sind der festen Überzeugung, dass ESG entscheidend ist, um die von unseren Kunden gewünschten Anlageergebnisse zu erzielen – würden aber eine offenere Debatte über die damit verbundenen Einschränkungen und Kompromisse begrüßen.
Unser Ansatz
Wir bei Janus Henderson haben uns auf ESG-Anlagen verpflichtet und passen unseren Ansatz immer wieder an die sich entwickelnden Kundenbedürfnisse an. Wir bemühen uns um Transparenz in unseren Ansichten und sind der Meinung, dass eine offene und ehrliche Debatte über die vor uns liegenden Chancen und Herausforderungen für unseren kontinuierlichen Fortschritt unverzichtbar ist. Wir sind davon überzeugt, dass ESG-Anlagen zur Gestaltung unserer Zukunft beitragen werden und dass das Jahr 2022 wichtige Entscheidungen bringen wird, die für unsere Branche und die Welt insgesamt richtungsweisend sind.