Im letzten Teil unserer Videoreihe über die wissenschaftlichen und anlagebezogenen Auswirkungen von COVID-19 erörtert Biotech-Analyst Agustin Mohedas, wie die Bemühungen um die Entwicklung von Therapien und Impfstoffen Innovationen im Gesundheitssektor vorantreiben. Daneben erläutert er die potenziellen Auswirkungen der erneuten wirtschaftlichen Öffnung in einigen Bundesstaaten und skizziert einen möglichen Zeitplan für die Entwicklung eines wirksamen Impfstoffs.
Zentrale Erkenntnisse:
- Die Bemühungen um die Entwicklung von Impfstoffen gegen COVID-19 unterstreichen, wie wichtig Innovationen im Gesundheitswesen sind und zeigen, wie schnell neue Technologien entwickelt werden können.
- Ferner helfen sie einigen Unternehmen, ihre technologische Kompetenz rasant deutlich zu beschleunigen. Darüber hinaus schließen sich kleinere Spitzentechnologieunternehmen zunehmend mit Pharmariesen zusammen, die ihre Produktion und ihren Vertrieb hochfahren können.
- Derzeit wird eine Reihe von Impfstoffen an gesunden Freiwilligen getestet, um Aufschluss über die Sicherheit der Medikamente zu erhalten. Um die Wirksamkeit dieser Medikamente zu beurteilen, sind groß angelegte Studien erforderlich. Einige Impfstoffe könnten bis Anfang nächsten Jahres zugelassen werden und im zweiten Halbjahr 2021 für die breite Masse zur Verfügung stehen.
Quelle: Global Life Sciences Team, Stand: 13. Mai 2020
Michael McNurney: Hallo, ich bin Mike McNurney. Hallo, willkommen zur Janus Henderson-Serie zur COVID-19-Krise. Heute begrüße ich Agustin Mohedas. Gemeinsam werden wir über die aktuellen Neuigkeiten zur Krankheit und einige langfristige Themen sprechen, die durch diese Krise beschleunigt werden. Herzlich Willkommen Agustin.
Agustin Mohedas: Danke, Mike. Ja, ich freue mich, Ihnen ein paar Neuigkeiten zu COVID-19 und die aktuellen Entwicklungen zu liefern. Dabei werde ich mich hauptsächlich auf Europa und die USA konzentrieren, daneben aber auch die Entwicklungen in Asien erläutern. In den fünf EU-Ländern Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien und Großbritannien erreichte die Zahl der täglichen Neuinfektionen etwa Mitte März ihren Höhepunkt. Seither gehen die Zahlen langsam, aber sicher zurück. Mitte März gab es in der EU etwa 25.000 neue Fälle, inzwischen liegt die Zahl der täglich neuen Fälle unter 10.000 und ist weiter rückläufig.
In den USA werden seit Ende März täglich etwa 25.000 bis 30.000 neue Fälle registriert, bei bislang unverändertem Niveau. Die Fallzahlen sind etwas gesunken, aber nicht annähernd so stark wie in Europa. Das deutet darauf hin, dass die gesellschaftlichen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus hier in den USA weniger einheitlich oder effektiv sind als in Europa. Ohne Berücksichtigung der Bundesstaaten New York, New Jersey und Connecticut steigen die täglichen Neuinfektionen in den USA sogar.
Ganz anders ist die Situation in asiatischen Ländern wie Südkorea, Vietnam, China etc. Sie haben die Epidemie durch extrem strenge Lockdowns, die Rückverfolgung von Kontakten und weitreichende Tests wirksam eingedämmt.
MM: Agustin, mir scheint, dass wir es mit einer sehr schwierigen Gratwanderung zwischen der Gesundheit unserer Bevölkerung und unserer Wirtschaft zu tun haben. Worin liegt die größte Gefahr oder welche maßgeblichen Indikatoren ziehen Sie heran, um dies zu beurteilen?
AM: Einige besonders schwer betroffene Bundesstaaten im Nordwesten wie New York, New Jersey, Connecticut, Massachusetts befinden sich immer noch im Lockdown, während andere Staaten, in denen es auch Fälle gab, aber viel weniger, ihre Wirtschaft langsam wieder öffnen. Wenn wir die Wirtschaft nun wieder hochfahren, die Menschen wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren und wieder mehr Kontakt haben und die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus gelockert werden, könnte dies dazu führen, dass die Basisreproduktionszahl R0 oder die Ansteckungsrate nach oben geht und die Fallzahlen wieder steigen. In den nächsten ein bis zwei Wochen wird es nicht zu diesem Effekt kommen, weil es eine Inkubationszeit gibt, in der Sie das Virus zwar haben, aber keine Symptome zeigen und deshalb nicht zum Arzt gehen und sich auf das Coronavirus testen lassen werden.
Wir wissen auch, dass 80% der Fälle asymptomatisch verlaufen. In den Regionen, wo die Wirtschaft wieder anläuft, werden die Menschen möglicherweise zur Normalität zurückkehren, ihre Arbeit und ihre sozialen Kontakte wieder aufnehmen und in den nächsten ein, zwei, vielleicht drei Wochen werden wir wahrscheinlich sehen, dass die Zahl der täglichen Neuinfektionen wieder steigt.
Die wichtigste Frage ist, wie stark? Wird sich die Zahl in den Bundesstaaten, die den Stillstand beenden, verdoppeln oder verdreifachen? Das ist derzeit nur schwer zu sagen. Deshalb werden wir die Situation in diesen Staaten und im Rest des Landes genau beobachten, um zu sehen, wie sich die Sache entwickelt. Außerdem behalten wir die Lage in Ländern wie Deutschland im Auge, wo die Kontaktbeschränkungen in letzter Zeit gelockert wurden und die Fallzahlen leicht gestiegen sind.
Insgesamt müssen wir uns also wohl bewusst sein, dass das langsame Wiederhochfahren des wirtschaftlichen Lebens in einigen Ländern, Bundesstaaten und Städten die Fallzahlen wieder nach oben treiben wird. Wir hoffen jedoch, dass dies kontrolliert geschehen wird und wir durch verfügbare Tests, Isolation und Rückverfolgung positiv Getestete in Quarantäne schicken können, während andere weiter aktiv an der Wirtschaft teilnehmen können.
MM: Agustin, Janus Henderson ist unter anderem für seine differenzierten Analysen bekannt, die nicht einfach der Konsensmeinung folgen. Können Sie uns erklären, mit welchen Methoden Sie diese Krankheit bewerten und im Auge behalten?
AM: Ja, sicher Mike. Als COVID-19 sich zu einem offensichtlichen Problem für China und anschließend auch in anderen Teilen Asiens entwickelte und uns klar wurde, dass das Virus letztlich auch die USA und andere Länder, etwa in der EU erreichen würde, haben wir es sehr sorgfältig verfolgt und Modelle erstellt, um die Höhepunkte der Fallzahlen und Todesfälle vorherzusagen, und wann die Zahl der Fälle auf einen Punkt zurückgehen würde, an dem eine wirtschaftliche Öffnung sicher wäre.
Wir haben dies also verfolgt, und ich habe mehrere Modelle erstellt, die sich besonders auf die USA konzentrieren. Dort rechnen wir bis Ende Juni mit 1,6 bis 1,8 Millionen Infizierten und 100.000 Toten. Diese Modelle basieren jedoch alle auf den Entwicklungen der Epidemie in anderen Ländern. Anhand dieser Beispiele modelliere ich die Prognosen für die USA. Mit der langsamen Öffnung der Länder stellen wir jedoch fest, dass die Ansteckungsrate wieder steigt, sodass diese Modelle wieder überarbeitet werden müssen.
Deshalb denke ich, dass Mai und Anfang Juni für uns ein wirklich wichtiger Moment sind, da wir sehen werden, wie sich die wirtschaftliche Öffnung auf die Epidemie und die Pandemie weltweit auswirkt. Es ist also eine wirklich wichtige Zeit, vielleicht ein Wendepunkt, und deshalb beobachten wir sehr genau und passen unsere Modelle entsprechend an.
MM: Selbstverständlich hat das enormen Einfluss auf das Gesundheitssystem. Auch andere Anleger bei Janus Henderson nutzen diese Informationen, um zu die wirtschaftlichen Auswirkungen und die Dauer dieser Auswirkungen beurteilen zu können. Ist das richtig?
AM: Ja, genau. Wenn es bei der Epidemie eine zweite Welle gibt oder sie in den USA erneut aufflammt, dürfte sich das auf das Verbraucherverhalten, auf Restaurant- und Kinobesuche und sogar auf unser Einkaufsverhalten auswirken. Es wird in sämtlichen Bereichen Spuren hinterlassen, und deshalb verfolgen andere Anleger bei Janus Henderson aufmerksam unsere Modelle und unseren aktuellen Bericht, damit sie bessere Anlageentscheidungen treffen können.
MM: Agustin, einen Trend beobachten wir vor allem im Technologiesektor. Ich meine die Beschleunigung unserer langfristigen Anlagethemen in dieser Krise aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung dieser Krankheit. Gibt es etwas Ähnliches auch im Gesundheitssektor?
AM: Ja, absolut. Es gibt Technologien, wie beispielsweise mRNA-basierte Medikamente. Dabei handelt es sich um einen neuartigen Wirkstoff, aber es gibt keine zugelassenen Medikamente mit mRNA als Wirkstoff. Dabei wird der Körper über einen Botenstoff dazu angeregt, ein Protein zu bilden. Anschließend wird im Körper und den Körperzellen tatsächlich dieses Protein oder dieser Wirkstoff produziert. Das ist besonders nützlich für die Herstellung von Impfstoffen. Unternehmen wie Moderna und andere arbeiten an der Entwicklung von mRNA-basierten Wirkstoffen, die sich vor allem als Impfstoff verwenden lassen. Sie führen sehr schnell zu einem so genannten Entwicklungskandidaten, bei dem die Phase 1-Tests beginnen können. Inzwischen befinden sich mehrere mRNA-basierte‑Impfstoffe in der klinischen Prüfung. Die klinischen Daten dürften Mitte des Jahres vorliegen. Irgendwann im Laufe des nächsten Jahrs werden wir dann möglicherweise mehrere Milliarden Dosen zur Verfügung haben. Das ist nur ein Beispiel für die Beschleunigung, die die COVID-19-Pandemie mit Blick auf die Entwicklung von Technologien im Biotech-Sektor ausgelöst hat.
MM: Agustin, Sie haben unter anderem erwähnt, dass zahlreiche Unternehmen an potenziellen Impfstoffen oder Therapien arbeiten. Wir haben festgestellt dass die Unternehmen bei der Bekämpfung dieser Krankheit stärker zusammenarbeiten. Hat sich die Kooperation verstärkt?
AM: Ja, das glaube ich sehr wohl. Dabei schließen sich relativ kleine innovative Unternehmen, die über führende Spitzentechnologie verfügen, mit den etablierten Pharmakonzernen zusammen. Nehmen wir zum Beispiel BioNTech, das an der Entwicklung eines mRNA-basierten Impfstoffs arbeitet. Das Unternehmen hat zwei verschiedene Impfstoffe gegen COVID-19 entwickelt und umfassend mit Pfizer zusammengearbeitet. Pfizer hat eine sehr starke Impfsparte und selbstverständlich eine solide Lieferkette weltweit, sodass ein breiter Vertrieb des Medikaments möglich wäre. Pharmaunternehmen, die über Spitzentechnologie verfügen, schließen sich also mit den Branchenriesen zusammen, die über ganz andere Möglichkeiten verfügen, um ihre Produktion und den Vertrieb hochzufahren als kleine Unternehmen. Die Besten aus den beiden Welten des Gesundheitsuniversums schließen sich also zusammen, um eine Lösung für die Krise zu finden. Das wird meines Erachtens langfristig ein positives Licht auf den Sektor werfen.
MM: Agustin, es scheint, dass verschiedene Wege ausprobiert werden, um diese Krankheit zu behandeln oder einen Impfstoff gegen sie zu finden. Dadurch wird sich das Tempo der Innovationen beschleunigen. Fördern die Bemühungen im Kampf gegen COVID-19 nicht auch ein gewisses Wohlwollen gegenüber der gesamten Branche?
AM: Ja, ich denke COVID-19 zeigt wie wichtig das wichtig das innovative Ökosystem im Bereich Biotechnologie und Gesundheit ist, und es zeigt auch, wie schnell neue Technologien entwickelt werden können. Unternehmen, die Heilmittel, Therapien und Impfstoffe gegen das Coronavirus entwickeln, profitieren zwar nicht unbedingt direkt von diesen Impfstoffen oder Therapien - vor allem dann nicht, wenn sie zu einem Preis verkauft werden, der nur geringfügig über den Kosten liegt. Aber sie beschleunigen ihre technologische Entwicklung rasant und sinnvoll, wovon dann auch der Rest ihrer Pipelines profitiert.
Und dann wird der Sektor insgesamt auf erhebliches Wohlwollen vor allem in der Politik stoßen, da er wichtige Therapien und Impfstoffe liefert. Ich denke also, dass letztendlich der Druck zum Beispiel in Bezug auf die Arzneimittelpreise oder auch der politische Druck auf diese Unternehmen stark zurückgehen wird, die insbesondere was die Arzneimittelpreise anbelangt, in den letzten Jahren stark kritisiert wurden. Und ich denke, die Politiker und der Rest des Landes werden erkennen, dass dieser Sektor wirklich wichtig ist, und uns allen sehr an seiner Innovationskraft und seinem Erfolg liegt und wir ihn deshalb am Laufen halten müssen. Und deshalb werden wir ihn unterstützen und nicht bremsen. Für Anleger beurteile ich die Aussichten für den Sektor in den nächsten Jahren also extrem optimistisch.
MM: Agustin, wie können wir die Wirksamkeit und Sicherheit dieser Medikamente bewerten, die ja noch in den Kinderschuhen stecken?
AM: Das ist eine gute Frage. Wie Sie wissen, hat sich die Sicherheit mRNA-basierter Impfstoffe bereits in einigen anderen klinischen Programmen bestätigt, die verschiedene Firmen entwickelt haben. Diese Impfstoffe scheinen also recht sicher zu sein. Die Wirksamkeit ist eine andere Sache. Wir werden sehen müssen, ob diese Impfstoffe in der Lage sind, genügend Antikörper zu erzeugen, um in der Realität wirksamen Schutz zu bieten. Die Unternehmen, die diese Impfstoffe entwickeln, testen sie jetzt an gesunden Freiwilligen, um zu sehen, wie viele Antikörper gebildet werden. Es geht darum festzustellen, wie hoch diese sogenannten Antikörpertiter sind. Anschließend werden sie umfangreiche Phase II oder Phase III-Studien mit Tausenden von Patienten durchführen, mit Tausenden von gesunden Freiwilligen, die entweder ein Placebo oder den Impfstoff erhalten und dann ihren Alltag leben. An einem bestimmten Zeitpunkt wird man dann feststellen, ob die Wahrscheinlichkeit, an COVID-19 zu erkranken in der Placebo-Gruppe höher war als bei den Probanden, die den Impfstoff erhalten haben. Das gibt uns Aufschluss über die Wirksamkeit.
Grippeimpfstoffe haben im Allgemeinen eine Wirksamkeit von 30% bis 50%, d. h. sie reduzieren die Wahrscheinlichkeit, an einer Grippe zu erkranken, um 30% bis 50%. Im Falle einer Erkrankung ist der Verlauf dann deutlich milder. Der Grippeimpfstoff ist also ein ziemlich wirksamer Impfstoff, aber er ist nicht so wirksam wie etwa der Masernimpfstoff, der eine Infektion fast zu 100% verhindert. Wir müssen also abwarten, wie wirksam die Impfstoffe gegen das Coronavirus sind.
MM: Als Nächstes stellt sich jetzt natürlich die Frage, wann es wohl einen Impfstoff geben wird.
AM: Diese Impfstoffe befinden sich wie gesagt aktuell in Phase 1 und werden an gesunden Freiwilligen getestet. In der Regel handelt es sich dabei nur um Sicherheitsstudien. Gleichzeitig werden wir aber neutralisierende Antikörpertiter erhalten. Diese Daten werden im Juni von verschiedenen Unternehmen verfügbar sein. In der zweiten Jahreshälfte oder Anfang nächsten Jahres werden dann Daten aus den größeren, sogenannten Feldstudien vorliegen. Dabei erhalten Tausende von Menschen den Impfstoff oder das Placebo und dann wird gemessen, wie viele Menschen die Krankheit bekommen und wie viele nicht.
Ende des Jahres dürften wir so weit sein. Ich rechne damit, dass einige dieser Impfstoffe Ende dieses Jahres oder Anfang nächsten Jahres zugelassen werden. In der zweiten Jahreshälfte 2021 werden sie dann voraussichtlich allgemein verfügbar werden.
MM: Agustin, vielen Dank für diese aktuellen Einblicke und für all die Informationen, die Sie den Anlegern von Janus Henderson zur Verfügung gestellt haben. Sie helfen uns als Anlegern, deutlich besser informierte Anlageentscheidungen zu treffen. Vielen Dank, dass Sie heute bei uns waren.
AM: Gern geschehen.
Fußnoten
mRNA oder Messenger-RNA (mRNA) überträgt die von der DNA kopierte genetische Information zur Verarbeitung in andere Teile der Zelle. Der mRNA-Ansatz zur Bekämpfung von COVID-19 nutzt die mRNA, um eine Immunreaktion hervorzurufen und so Immunität zu erzeugen.