Andy Acker: Der Gesundheitssektor hielt in der ersten Jahreshälfte trotz seiner erfreulichen Entwicklung nicht mit dem Gesamtmarkt Schritt. Dafür waren denke ich mehrere Faktoren verantwortlich: Der Gesundheitssektor hat bei der Erholung von der Coronakrise zweifellos eine zentrale Rolle gespielt, dennoch haben nach Einschätzung des Marktes andere, zyklische Sektoren am meisten profitiert. 2020 gab es eine Sektorrotation in zyklischere Aktien. Dennoch haben Teile des Gesundheitssektors tatsächlich profitiert, allen voran Hersteller von Medizinprodukten, Gesundheitsdienstleister und Hersteller von Instrumenten für die Life-Science-Industrie. Auch Pharmaaktien haben im ersten Halbjahr im Rahmen einer Rotation zu Value-Aktien zugelegt.
Die Bewertungen im Sektor sind denke ich gegenüber dem Gesamtmarkt nach wie vor niedrig. Dafür gibt es mehrere Gründe. Zu den Hauptgründen zählen nach wie vor Sorgen über die Arzneimittelpreise und die diesbezügliche politische Rhetorik. Auch die kürzliche Zulassung von Aduhelm zur Behandlung von Alzheimer, die einen enormen, ungedeckten Bedarf darstellt, war heftig umstritten, da die US-Gesundheitsbehörde FDA sich für eine beschleunigte Zulassung entschied, obwohl die klinischen Daten nach Auffassung vieler gemischt waren. Kombiniert mit dem hohen Verkaufspreis für das Medikament hat dies die Debatte über Arzneimittelpreise angeheizt.
Der Sektor wird also meines Erachtens durch verschiedene Faktoren gebremst. Dennoch zeichnet er sich unserer Meinung nach durch eine rege Innovationstätigkeit aus und wir finden die Aussichten extrem interessant. Diese Aktien werden nach wie vor mit einem erheblichen Abschlag gehandelt, obwohl sich die Innovationen beschleunigen und auf einen hohen, ungedeckten medizinischen Bedarf abzielen. Zu den aktuellen Beispielen zählt wohl der Durchbruch beim ersten Genome Editing am Menschen. Dabei wird ein Zielgen bei einem Patienten verändert und ein schädliches Protein ausgeschaltet. Erst kürzlich hat sich gezeigt, dass wir dieses schädliche Protein mit einer relativ niedrigen Dosis einer einzigen Infusion um durchschnittlich 87% reduzieren können. Ich finde, dass dies ein wichtiger Durchbruch ist, aber wirklich nur einer von vielen in diesem Sektor.
Wir sehen enorme Fortschritte und neue Möglichkeiten zur Behandlung menschlicher Krankheiten. Eine davon ist das Genome Editing, eine andere die Gentherapie. Es gibt Fortschritte in der Präzisionsonkologie, monoklonale Antikörper, die so entwickelt werden können, dass sie Chemotherapeutika an sich binden und wie präzise gelenkte Raketen direkt auf Krebszellen zielen. Es gibt Möglichkeiten, Proteine mit Hilfe eines kleinen Moleküls oder einer Pille, durch sogenannten Proteinabbau abzuschalten, und wir sehen dort langsam Fortschritte.
Biotechnologie ist natürlich nur ein Bereich, in dem wir Fortschritte beobachten. Sogar bei Gesundheitsdienstleistungen gibt es neue wertorientierte Modelle, die es ermöglichen, Patienten besser und zu geringeren Kosten zu behandeln. Hier gibt es einige neue Modelle. In der Medizintechnik verzeichnen wir weitere Fortschritte bei den Diagnoseverfahren. Natürlich gibt es Fortschritte bei der COVID-19-Diagnostik, aber auch in vielen anderen Bereichen, vor allem bei Diabetes. Inzwischen können Patienten ihren Blutzuckerspiegel alle fünf Minuten auf ihrem iPhone ablesen, ohne dass sie sich in den Finger stechen müssen. Ein weiteres Beispiel sind die Fortschritte in der Roboterchirurgie oder Methoden zur Blutdruckkontrolle durch medizinische Geräte. Es gibt also weiterhin Fortschritte im gesamten Gesundheitssektor. Darin liegt unseres Erachtens ein enormes Wertpotenzial für den Sektor.